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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Vestrit. Ich bin die, die du am meisten fürchtest, und die auch sie am meisten fürchtet. Ich bin diejenige, die du nicht wahrnehmen willst. Ich bin die, die du verleugnest und vor dir selbst und allen anderen versteckst. Ja, ich bin ein Teil von euch beiden.
    Die Stimme wartete darauf, dass er antwortete, aber er konnte die Worte nicht aussprechen. Er wusste, dass die alte Magie der Namen in beide Richtungen funktionierte. Den wahren Namen eines Geschöpfs zu kennen, bedeutete, die Macht zu haben, es an sich zu binden. Aber den Namen eines Geschöpfs auszusprechen bedeutete auch, es wirklich werden zu lassen.
    Ich bin der Drache. Die Stimme klang endgültig. Du kennst
    mich jetzt. Und nichts wird mehr so sein wie vorher.
    »Es tut mir Leid, es tut mir Leid«, plapperte er lautlos. »Ich wusste es nicht. Keiner von uns wusste es. Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid.«
    Es tut dir längst nicht so Leid wie mir. Die Stimme war unerbittlich in ihrer Trauer.
    »Aber es war nicht meine Schuld! Ich hatte nichts damit zu tun!«
    Meine Schuld war es ebenfalls nicht, und dennoch wurde ich
    am schlimmsten von allen bestraft. Schuld hat im größeren Plan keinen Platz, Kleiner. Fehler und Schuld sind als Entschuldigung nutzlos, sobald die Tat einmal vollzogen ist. Wurde die Handlung ausgeführt, müssen alle ertragen, was daraus folgt.
    »Aber warum bist du so tief unten?«
    Wo sollte ich sonst sein? Was ist mir noch geblieben ? Als ich mich daran erinnerte, wer ich war, lasteten eure Erinnerungen
    in vielen Schichten auf mir. Dennoch bin ich hier, und ich werde auch hier bleiben, ganz gleich, wie lange du mich verleugnest. Die Stimme hielt inne. Und ganz gleich, wie lange ich mich selbst verleugne, fuhr sie dann müde fort.
    Schmerz durchströmte ihn. Wintrow rang in einem Feuer aus Hitze und Licht und kämpfte darum, die Augen geschlossen und die Zunge ruhig zu halten. Was taten sie ihm an? Es spielte keine Rolle. Er würde nicht darauf reagieren. Wenn er sich bewegte, wenn er aufschrie, würde er zugeben müssen, dass er lebte und Viviace tot war. Er würde zugeben müssen, dass seine Seele mit etwas verbunden war, das schon viel, viel länger tot war, als er lebte. Es war mehr als makaber, es betäubte ihn vor Entsetzen. Das war das Wunder und der Ruhm eines Lebensschiffes. Er musste für immer mit dem Tod verkehren. Er wollte nicht aufwachen und das zugeben.
    Würdest du lieber hier bei mir bleiben? Die Stimme des Wesens hatte jetzt einen Unterton bitterer Belustigung. Willst du in dem Grabmal meiner Vergangenheit verweilen?
    »Nein. Nein, ich möchte frei sein.«
    Frei?
    Wintrow stammelte. »Ich will nichts davon wissen. Ich will niemals ein Teil davon sein.«
    Du warst ein Teil davon, als du empfangen wurdest. Es gibt
    keine Möglichkeit, das ungeschehen zu machen.
    »Was muss ich dann tun?« Die Worte hallten unausgesprochen in ihm. »Ich kann nicht damit leben.«
    Du könntest damit sterben, schlug die Stimme zynisch vor.
    »Ich will nicht sterben.« Dessen wenigstens war er sich gewiss.
    Das wollte ich auch nicht, erklärte die Stimme erbarmungslos. Aber ich bin gestorben. So viele Erinnerungen an das Fliegen ich auch habe, meine eigenen Flügel wurden niemals ausgebreitet. Um dieses Schiff zu bauen, wurde mir mein Kokon genommen, bevor ich schlüpfen konnte. Sie haben das, was mein Körper werden sollte, einfach auf den kalten Steinboden
    geworfen. Ich bestehe nur aus Erinnerungen, Erinnerungen, die in den Wänden meines Kokons lagerten, Erinnerungen, die ich hätte aufnehmen sollen, während ich in der heißen Sonne des Sommers geformt wurde. Ich hatte aber keine Möglichkeiten, zu leben oder zu wachsen, außer durch die Erinnerungen, die deine Spezies mir bot. Ich habe absorbiert, was ihr mir gabt, und als es genug war, bin ich erwacht. Aber nicht als ich selbst. Nein. Ich wurde die Form, die ihr mir aufgezwungen hattet, und habe die Persönlichkeit angenommen, die die Summe der Erwartungen eurer Familie war. Ich wurde Viviace.
    Etwas verstärkte Wintrows physischen Schmerz. Luft strömte über ihn, und die Wärme der Sonne berührte ihn. Selbst dieser Kontakt versengte sein entblößtes Fleisch. Aber das Schlimmste war die Stimme, die ihn in einer Mischung aus Freude und Sorge anrief. »Wintrow? Kannst du mich hören? Ich bin es, Viviace. Wo bist du, was tust du, dass ich dich überhaupt nicht fühlen kann?«
    Er fühlte, wie die Gedanken des Schiffes nach ihm griffen. Er wich zurück, weil er nicht wollte, dass

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