Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
»Schatten«, bat er. Die Berührung der Sonne und des Windes war grauenhaft für seine verletzte Haut.
»Er hat gesprochen!«, rief Etta.
»Es war der Kapitän!«, erklärte jemand. »Er hat ihn vom Tod zurückgerufen!«
»Selbst der Tod weicht vor Kennit zurück!«, rief ein anderer.
Die raue Handfläche, die seine Wange so sanft berührte, und die starken Hände, die seinen Kopf hoben und ihm die himmlisch kühle und tropfende Tasse an die Lippen hielten, waren Kennits. »Du gehörst mir, Wintrow«, erklärte der Pirat.
Darauf trank Wintrow.
»Ich glaube, du kannst mich hören!« Die, die sich erinnert, trompetete die Worte, als sie in den Schatten des silbernen Rumpfs schwamm. Sie hielt mit dem Schiff mit. »Ich kann dich riechen. Ich spüre dich, aber ich kann dich nicht finden.
Versteckst du dich absichtlich vor mir?«
Sie schwieg und lauschte mit allen Sinnen auf eine Antwort.
Sie schmeckte etwas im Wasser, einen bitteren Geschmack, wie die stechenden Gifte ihrer eigenen Drüsen. Es drang aus dem Rumpf des Schiffes, wenn das überhaupt möglich war. Sie glaubte Stimmen hören zu können, die so entfernt waren, dass sie die Worte nicht verstehen konnte. Sie wusste nur, dass sie sprachen. Das ergab keinen Sinn. Die Schlange fürchtete schon, dass sie langsam verrückt wurde. Welch bittere Ironie, endlich die Freiheit gewonnen zu haben und sich dann dem Wahnsinn geschlagen geben zu müssen.
Ein Schauer lief über ihren ganzen Leib, und sie sonderte einen dünnen Strahl Gift ab. »Wer bist du?«, wollte sie wissen.
»Wo bist du? Warum versteckst du dich vor mir?«
Sie wartete auf eine Antwort. Es kam keine. Niemand sprach zu ihr, aber sie war davon überzeugt, dass jemand sehr genau zuhörte.
4. Tintaglias Flug
Der Himmel war nicht blau, o nein. Nicht mehr, seit sie sich in die Luft geschwungen hatte. Was konnte schon blau sein neben ihrem eigenen, strahlenden Körper? Tintaglia, die Drachenkönigin, bog ihren Rücken und bewunderte den silbrigen Glanz des Sonnenlichts auf ihren blauen Schuppen. Sie war unbeschreiblich schön. Doch nicht einmal dieses Wunder konnte ihren scharfen Blick und ihre noch empfindsameren Nüstern von dem ablenken, was noch wichtiger war als ihr Ruhm.
Auf einer Lichtung weit unter ihr bewegte sich Nahrung. Eine Ricke wagte sich etwas zu mutig ins Freie. Närrisches Ding!
Früher einmal wäre kein Wild ins offene Gelände hinausgetreten, ohne zuvor einen wachsamen Blick nach oben zu werfen.
Waren die Drachen wirklich schon so lange von der Welt verschwunden, dass die Huftiere ihre Aufmerksamkeit dem Himmel gegenüber vergessen hatten? Sie würde sie bald eines Besseren belehren! Tintaglia legte die Flügel an und stürzte sich hinab. Erst als sie so nah war, dass das Wild keine Chance auf Rettung mehr hatte, stieß sie ihren Jagdlaut aus. Das melodiöse Trompeten ihres K-i-i-i zerriss den morgendlichen Frieden. Mit den Klauen ihrer Vorderbeine riss sie ihr Opfer an ihre Brust, während die mächtigen Hinterbeine den Aufprall ihrer Landung abfederten. Beinahe im selben Augenblick erhob sie sich wieder mühelos mit ihrer Beute in die Luft. Die Ricke war vollkommen reglos. Ein kurzer Biss in den Nacken hatte sie gelähmt. Tintaglia trug ihre Beute auf einen Felsvorsprung, von dem aus sie das breite Tal des Regenwildflusses überblicken konnte. Dort schleckte sie das sprudelnde Blut aus ihrem Fang, bevor sie dann dunkelrote Fleischbrocken herausriss, um ihren Hunger zu stillen. Sie warf den Kopf zurück und schlang sie hinunter. Das unglaublich sinnliche Vergnügen des Essens überwältigte sie beinahe. Der Geschmack des heißen, blutigen Mahls, der ranzige Geruch der Eingeweide vereinte sich mit dem körperlichen Vergnügen, sich den Wanst mit großen Brocken Nahrung vollzuschlagen. Sie fühlte, wie sich ihr Körper erholte. Selbst das Sonnenlicht, das in ihre Schuppen eindrang, sättigte sie.
Sie legte sich nach dem Mahl zum Schlafen nieder, als ein ärgerlicher Gedanke sie störte. Bevor sie ihre Beute geschlagen hatte, war sie unterwegs gewesen, um etwas zu erledigen. Das Spiel des Sonnenlichts auf ihren Augenlidern lenkte sie ab.
Was war das noch gewesen? Ah, ja. Die Menschen. Sie hatte die Menschen retten wollen. Tintaglia seufzte und döste ein.
Schließlich hatte sie es ihnen ja nicht versprochen. Wie hätte zudem ein Versprechen zwischen einer Kreatur wie ihr und solchen Würmchen auch bindend sein können?
Dennoch. Sie hatten sie befreit.
Vermutlich waren sie
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