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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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ihr Geist den seinen berührte. Er machte sich kleiner, versteckte sich noch tiefer.
    Wenn Viviace ihn berührte, wusste sie alles, was er wusste.
    Was würde es bei ihr auslösen, wenn sie mit dem konfrontiert wurde, was sie wirklich war?
    Fürchtest du, dass sie verrückt wird? Hast du Angst, dass sie
    dich mit sich in den Wahnsinn zieht? Die Stimme klang erregt, als sie diesen Gedanken formulierte, und die Worte klangen beinahe wie eine Drohung. Wintrow wurde kalt vor Angst.
    Und jetzt wurde ihm auch klar, dass dieser geheime Ort kein Asyl war, sondern eine Falle. »Viviace!«, rief er laut, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht. Seine Lippen gaben keinen Schrei von sich. Selbst seine Gedanken wurden von dem Wesen der Drachenkönigin gedämpft, umhüllt, unterdrückt. Er versuchte zu kämpfen, wurde von dem Gewicht ihrer Gegenwart erstickt. Sie hielt ihn so fest, dass er nicht einmal mehr wusste, wie man atmete. Sein Herz hämmerte unregelmäßig.
    Schmerz traf ihn wie ein Hieb, als sein Körper protestierend zusammenzuckte. In einer fernen Welt, auf einem sonnigen Deck, schrieen Stimmen in hilflosem Entsetzen auf. Er kehrte zu der Ruhe eines Körpers und einer Seele zurück, die nur einen winzigen Schritt von der Dunkelheit des Todes entfernt war.
    Gut. Die Stimme klang befriedigt. Sei ruhig, Kleiner. Versuche nicht, mir zu trotzen, dann muss ich dich nicht töten. Pause.
    Ich habe wirklich nicht das Bedürfnis, dass einer von uns
    stirbt. So kurz wir auch miteinander verbunden sind, der Tod von einem von uns wäre ein ungeheures Risiko für die anderen.
    Das wäre dir klar geworden, wenn du genug Zeit gehabt hättest, darüber nachzudenken. Diese Zeit gewähre ich dir jetzt.
    Nutze sie, um dir Gedanken über unsere Lage zu machen.
    Eine Weile dachte Wintrow nur ans Überleben. Er hielt den Atem an und holte dann zitternd Luft. Sein Herzschlag stabilisierte sich. Wie aus weiter Ferne hörte er erleichterte Rufe. Die Schmerzen peinigten ihn immer noch. Er versuchte, seinen Verstand davon abzuziehen, die Schreie der Verletzungen seines Körpers zu ignorieren, damit er seinen Geist auf das Problem richten konnte, das die Drachenkönigin ihm aufgegeben hatte.
    Er zuckte bei ihrem plötzlichen Wutausbruch zusammen. Bei allem, was fliegt, besitzt du denn gar keinen Verstand? Wie
    konntet ihr Kreaturen überleben und die Welt so gründlich verseuchen, ohne auch nur das geringste Wissen über euch selbst zu haben? Du kannst dich nicht vom Schmerz zurückziehen und dir vorstellen, dass dich das stark macht! Sieh ihn dir an, du Narr! Er versucht dir zu sagen, was nicht in Ordnung ist, damit du es reparieren kannst. Kein Wunder, dass ihr alle nur so kurze Lebensspannen habt. Also, sieh hin! Sieh es dir an!
    Die Matrosen, die die Ecken des Lakens getragen hatten, das Wintrows Körper stützte, ließen ihn jetzt sanft auf das Deck gleiten. Trotzdem bemerkte Kennit die schmerzverzerrten Krämpfe in Wintrows Gesicht. Vermutlich war das ein ermutigendes Zeichen. Wenigstens reagierte er auf Schmerzen. Aber als die Galionsfigur mit ihm gesprochen hatte, hatte er nicht einmal gezuckt. Keine der Personen, die um die ausgestreckte Gestalt herumstanden, ahnte, wie sehr Kennit das beunruhigte.
    Der Pirat war sicher gewesen, dass der Junge auf die Stimme des Schiffes reagieren würde. Dass er es nicht tat, bedeutete möglicherweise, dass der Tod nach ihm griff. Kennit glaubte, dass es einen Ort zwischen Leben und Sterben gab, in dem der Körper eines Menschen nicht mehr als ein elendes Vieh und nur noch tierischer Reaktionen fähig war. Er hatte es gesehen.
    Unter Igrots grausamer Führung hatte der Körper seines Vaters tagelang in einem solchen Zustand verharrt. Vielleicht befand sich Wintrow jetzt genau dort.
    Das dämmrige Licht in der Kabine war gnädig gewesen. Hier draußen im hellen Tageslicht konnte Kennit nicht weiter drauf beharren, dass Wintrow wieder gesund werden würde. Jedes hässliche Detail seines verbrannten Körpers wurde hier sichtbar. Seine Krämpfe hatten den nassen Schorf zerstört, den seine Haut gebildet hatte, und aus seinen Wunden rann Flüssigkeit über seine Haut. Wintrow starb. Sein Propheten-Junge, der Priester, der sein Wahrsager war, lag im Sterben, bevor Kennits Zukunft das Licht der Welt erblickt hatte. Die Ungerechtigkeit dieser Tatsache drohte Kennit beinahe zu ersticken. Er war so nah davor gewesen, seinen Traum zu erfüllen. Jetzt würde er alles durch den Tod dieses Halbwüchsigen verlieren. Es

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