Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
ruhte wie in einer Gebärmutter. Wintrow nahm nichts weiter wahr als seinen Körper. Er arbeitete an ihm, wie er früher einmal an seinen Glasmalereien gearbeitet hatte. Der Unterschied war nur, dass es sich hier um eine Wiederherstellung handelte, nicht um eine Erschaffung. Diese Arbeit bereitete ihm Befriedigung und erinnerte ihn schwach daran, wie er früher als kleines Kind Bauklötze übereinander gestapelt hatte.
    Seine Aufgabe war einfach und klar, die Arbeit eintönig. Er half seinem Körper einfach nur dabei, das etwas schneller zu schaffen, was er letztendlich auch selbst getan hätte. Sein zielgerichteter Wille beschleunigte die Bemühungen seines Körpers. Der Rest seines Lebens war zu vollkommener Bewegungslosigkeit herabgesunken. Er dachte nur daran, das Tier zu reparieren, in dem er wohnte. Es war fast so, als befände er sich in einem kleinen, ruhigen Raum, während draußen ein gewaltiger Sturm toste.
    Genug, knurrte die Drachenkönigin.
    Wintrow schrumpfte vor ihrem Zorn noch weiter zusammen.
    »Ich bin noch nicht fertig«, bettelte er.
    Nein. Die Ruhe wird das Ihre tun, wenn du deinen Körper
    pflegst und ihn von Zeit zu Zeit ein wenig aufmunterst. Ich habe deinetwegen schon zu lange gezögert. Du bist jetzt stark genug, um uns alle mit dem zu konfrontieren, was wir sind. Und diese Konfrontation ist unausweichlich.
    Er hatte das Gefühl, gepackt und in die Luft geschleudert zu werden. Wie eine verängstigte Katze schlug und krallte er in alle Richtungen und suchte jemanden, etwas, woran er sich festhalten konnte. Er fand Viviace.
    Wintrow!
    Ihr Ausruf war kein Ausdruck von Freude, sondern das plötzliche Aufflackern ihrer Verbindung, als sie ihn wiederfand. Sie waren wieder vereint, und in dieser Vereinigung wurden sie wieder zu einem Ganzen. Sie spürte ihn, konnte seine Gefühle wahrnehmen, roch mit seiner Nase, schmeckte mit seinem Mund, fühlte mit seiner Haut. Sie wusste um seine Schmerzen und litt mit ihm. Sie las seine Gedanken und…
    Im Traum wacht man stets kurz vor dem Aufprall auf. Doch diesmal war es anders. Wintrows Erwachen war der Aufprall.
    Viviaces Liebe und Hingabe kollidierten mit seinem Wissen darum, was sie eigentlich war. Seine Gedanken waren der Spiegel, den er ihr vor ihr Leichengesicht hielt. Nachdem sie einmal hineingeblickt hatte, konnte sie nicht mehr wegsehen.
    Er war in diesem Nachsinnen mit ihr gefangen und fühlte, wie er selbst immer tiefer und tiefer in den Strudel ihrer Verzweiflung hineingezogen wurde. Er stürzte zusammen mit ihr in den Abgrund.
    Sie war nicht Viviace, jedenfalls nicht wirklich. Sie war niemals etwas anderes gewesen als das gestohlene Leben eines Drachen. Ihr Pseudoleben verdankte sie den Relikten dieses toten Drachen. Sie hatte nicht einmal ein wirkliches Recht auf ihre Existenz. Regenwildarbeiter hatten den Kokon des Drachen aufgebrochen, während der sich mitten in seiner Metamorphose befand. Der Keim seines Lebens war einfach auf einen kalten Steinboden gekippt worden, wand sich dort und verendete schließlich jämmerlich. Die Hülle aus Erinnerungen und Wissen, die ihn umgeben hatte, war weggeschleppt und zu Planken verarbeitet worden, aus denen Lebensschiffe gebaut wurden.
    Doch das Leben geht weiter, um jeden Preis. Ein Wirbelsturm wirft einen Baum auf den Waldboden. Aus seinem Stumpf wachsen neue Bäume heraus. Ein winziger Samen zwischen Kieseln und Sand wird einen Tropfen Feuchtigkeit erhaschen und sein trotziges Grün emporstrecken. In Salzwasser eingetaucht, bombardiert von den Erinnerungen und Gefühlen der Menschen, die sich auf ihr befanden, hatten die Fasern ihrer Planken versucht, sich in eine Art Ordnung zu organisieren. Sie hatten den Namen akzeptiert, den man ihr gegeben hatte, sie versuchten Sinn aus dem zu ziehen, was sie jetzt erlebten.
    Schließlich war Viviace erwacht. Aber das stolze Schiff und ihre großartige Galionsfigur gehörten nicht wirklich zur Vestrit-Familie. O nein. Sie hatte sich dieses Leben erschlichen. Sie war ein halbes Wesen, noch weniger als das, ein behelfsmäßiges Geschöpf, aus dem Willen der Menschen und vergrabenen Erinnerungen des Drachen zusammengestückelt, geschlechtslos, unsterblich und letzten Endes auch bedeutungslos. Eine Sklavin. Sie hatten die geraubten Erinnerungen des Drachen benutzt, um für sich eine große, hölzerne Sklavin zu erschaffen.
    Der Schrei, den Viviace ausstieß, riss Wintrow in die reale Welt zurück. Er rollte sich herum und stürzte zu Boden. Er landete schwer neben

Weitere Kostenlose Bücher