Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
umzubringen? Warum?«
Die Galionsfigur antwortete nicht. Das unruhige Licht der Flammen tanzte über die Galionsfigur. Paragon hielt sein Gesicht starr geradeaus in den Sturm und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Die hervortretenden Muskeln seines Rückens zeigten, wie angespannt er war. Die weiße Seeschlange tauchte vor ihnen aus dem Meer auf. Sie neigte ihren bemähnten Schädel und starrte mit glänzenden roten Augen auf die Galionsfigur. Sie sang sie an, erhielt aber keine Antwort.
Clef meldete sich plötzlich hinter Brashen. »Ich komme gerade von Amber. Sie ist jetzt in Sicherheit.«
Niemand war in Sicherheit! »Paragon! Schließ deine Fugen!«, schrie Brashen.
Clef zog an Brashens Ärmel. Brashen sah den Jungen verwirrt an. »Hat er schon. Merkt Ihr's denn nicht?«
»Nein, das habe ich nicht gemerkt.« Brashen hielt sich an der Reling fest und wollte Kontakt mit der Galionsfigur herstellen.
Aber da war nichts. »Ich fühle ihn gar nicht.«
»Ich schon. Ich fühle beide«, sagte Clef geheimnisvoll. Einen Augenblick später warnte er Brashen. »Haltet Euch fest, Sir!«
Urplötzlich richtete sich das Schiff auf und glich seine Neigung aus. Wenn das Schiff die Fugen geschlossen hatte und wenn die Mannschaft an den Bilgenpumpen weiterarbeitete und wenn der Sturm jetzt nicht heftiger wurde, dann würden sie es vielleicht überleben. »Schiff, mein Schiff, ich wusste, dass du uns nicht sterben lassen würdest.«
»Er war das nicht. Jedenfalls nicht wirklich.« Die Stimme des Jungen wurde zu einem Murmeln. »Es sind sie und er. Die Drachen.« Brashen fing den Jungen auf, als er zusammenbrach.
»Ich hab jetzt schon eine Weile von ihnen geträumt. Dachte, es war einfach nur ein Traum.«
»Hol sie rauf!«, bellte Kennit Jola an. Wütend beobachtete er, wie Wintrow und Etta an Bord gehievt wurden. Die Enttäuschung drohte ihn zu ersticken. Er hatte in der Bucht geankert, um den Sturm abzuwarten und in Ruhe entscheiden zu können, was er tun wollte. Vielleicht hätte er seinen ursprünglichen Plan, nach Divvytown zurückzukehren, umgestoßen. Er hatte gehofft, mehr Zeit ungestört mit Althea verbringen zu können.
»Ich habe nicht nach dir geschickt«, begrüßte er Etta abweisend, als sie an Bord kam. Sie schien jedoch von seinem Tadel nicht beeindruckt zu sein.
»Ich weiß. Ich dachte, ich ergreife die günstige Gelegenheit dieser kleinen Sturmpause, um zurückzukommen.«
»Ganz gleich, ob ich es angeordnet habe oder nicht«, bemerkte Kennit gereizt.
Sie blieb stehen, ohne ihn zu berühren. Sie war sichtlich verwirrt. Und sie klang verletzt, als sie sich beschwerte: »Mir ist es nicht in den Sinn gekommen, dass Ihr meine Rückkehr vielleicht nicht wollen würdet.«
Jola betrachtete ihn merkwürdig. Kennit wusste sehr wohl, dass seine Mannschaft Etta mochte und seine Beziehung zu der Hure romantisierte. Bei derartig unklaren Verhältnissen war es nicht klug, sie oder die Hure gegen sich aufzubringen.
»Ungeachtet des Risikos für dich?«, meinte er scharf. »Geh in die Kabine. Du bist völlig durchnässt. Wintrow, du auch. Ich habe Neuigkeiten für dich.«
Kennit drehte sich um und ging voraus. Sie sollten verdammt dafür sein, dass sie ihn bei dem eisigen Regen auf das Deck hinausgelockt hatten! Sein Stumpf begann zu schmerzen. Als er seine Kajüte erreichte, sank er in seinen Stuhl und ließ die Krücke einfach fallen. Etta fing sie automatisch auf und stellte sie in die Ecke. Er wartete mürrisch, während sie ihre nasse Überkleidung auszogen.
»Also, jetzt seid ihr da. Warum?« Er stellte sie zur Rede, bevor einer von ihnen sprechen konnte. Er gab ihnen gerade genug Zeit, ihre Gedanken zu sammeln, doch als Wintrow Luft holte, um zu antworten, schnitt er ihm das Wort ab. »Erspart euch die Antwort. Ich sehe es in euren Gesichtern. Nach allem, was wir durchgemacht haben, traut ihr mir immer noch nicht.«
»Kennit!« Etta war ganz offenkundig entsetzt. Er ignorierte es.
»Was an mir findet ihr so zweifelhaft? Mein Urteilsvermögen? Meine Ehre?« Er verzog das Gesicht. »Ich fürchte, ihr habt Recht. Ich habe wenig Urteilsvermögen darin bewiesen, mein Versprechen Wintrow gegenüber zu halten, und noch weniger Ehre meiner Mannschaft gegenüber, indem ich ihr Leben aufs Spiel setzte, um dieses Versprechen zu halten.« Er sah Wintrow durchdringend an. »Deine Tante ist an Bord und lebt. Sie schläft in deinem Zimmer. Halt!«, befahl er Wintrow, der hastig aufgestanden war. »Du kannst jetzt
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