Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
dürren und knochigen Kreaturen überleben zu können. Aber das habe ich nicht.« Sie schüttelte die Schwingen und betrachtete sich traurig. »Ich bin die ganze Zeit hungrig, Reyn. Und wenn ich meinen Hunger kurz gestillt habe, verlangt mein Körper nach Schlaf. Aber ich weiß, dass ich nicht so viel schlafen darf, und auch nicht jagen und fressen, wie ich eigentlich sollte. Weil ich das Versprechen halten muss, das ich dir gegeben habe, wenn ich die letzten meiner Art retten will.«
Er stand schweigend da und sah plötzlich ein ganz anderes Geschöpf als noch vor wenigen Minuten. Sie war jung und im Wachstum begriffen, obwohl sie schon einige hundert Leben gelebt hatte. Wie musste es sich anfühlen, nach einer endlosen Wartezeit in das Leben eintreten zu können, nur um dann von der Notwendigkeit der Selbstaufgabe gepackt zu werden?
Plötzlich tat sie ihm Leid.
Sie musste sein Gefühl bemerkt haben, aber ihre Augen drehten sich kühl. »Aus dem Weg!«, warnte sie ihn, ließ ihm jedoch kaum genug Zeit dazu. Der Luftzug ihrer Schwingen trieb ihm eine stechende Sandwolke gegen seine schmerzenden Glieder.
Als er die Augen wieder zu öffnen wagte, war Tintaglia nur noch ein schillernder blauer Fleck am Himmel, der immer weiter emporstieg. Einen Moment weitete sich sein Herz beim Anblick von so viel Schönheit. Welches Recht hatte er, sie bei der Aufgabe, ihre Spezies zu schützen, aufzuhalten? Dann dachte er an Malta, und seine Entschlossenheit wurde stärker.
Sobald sie in Sicherheit war, würde er mit all seinen Kräften Tintaglia helfen.
Er fand einen windgeschützten Platz hinter einigen Felsbrocken. Die Luft war klar und das schwache Sonnenlicht beinahe warm. Er aß sparsam von seinen getrockneten Früchten und trank Wasser aus seinem Beutel. Er versuchte zu schlafen, aber die wunden Stellen, an denen ihre Krallen seine Haut aufgescheuert hatten, schmerzten, und die Sonne schien zu hell gegen seine Augenlider. Er suchte den Himmel nach der Drachenkönigin ab, aber er sah nur kreisende Möwen.
Nachdem er sich mit einer längeren Wartezeit abgefunden hatte, machte er sich auf in den Wald, um nach frischem Wasser zu suchen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, unter Bäumen auf festem Boden zu gehen. Der üppige Regenwald über dem Sumpf war der einzige Wald, den er jemals kennen gelernt hatte. Hier hingen die Zweige der Bäume tiefer, und das Unterholz war dichter. Unter seinen Füßen raschelte eine dicke Laubschicht.
Er hörte Vögel, entdeckte aber nur wenig Spuren von kleineren Tieren, und von Rotwild oder Wildschweinen war gar nichts zu sehen. Vielleicht lebten auf dieser Insel ja keine größeren Tiere. In dem Fall könnte Tintaglia unverrichteter Dinge wieder zu ihm zurückkehren. Das Terrain wurde steiler, und bald bezweifelte er, dass er einen Fluss finden würde. Zögernd wandte er sich wieder in Richtung Strand.
Als er an die Stelle kam, an der der Wald sich lichtete und der Himmel durchschien, hörte er ein merkwürdiges Geräusch. Es war ein tiefes, vibrierendes Bellen. Es klang, als würde jemand mit einem weichen Klöppel gegen eine große, mit Haut bespannte Trommel schlagen. Er ging langsamer und spähte hinter einem Busch hervor, bevor er sich an den Strand vortastete.
Die Seeelefanten waren zurückgekehrt. Ein halbes Dutzend von ihnen wälzte sich im Sand. Einer hob seine Schnauze, und sein fetter Hals arbeitete wie ein Blasebalg, während er dieses heisere Bellen ausstieß. Reyn war fasziniert. Er hatte diese massigen Geschöpfe noch nie aus solcher Nähe gesehen. Die Kreatur senkte ihren schweren Schädel und schnüffelte vernehmlich im Sand. Anscheinend verwirrte der ungewohnte Geruch des Drachen das Tier. Es entblößte angewidert seine gewaltigen gelben Hauer, schüttelte den Kopf und warf sich dann wieder in den Sand. Die anderen dösenden Geschöpfe ignorierten es. Eines drehte sich auf den Rücken und wedelte träge mit seinen Flossen vor seinem Gesicht. Dann drehte es Reyn den Kopf zu und blähte die Nüstern. Er glaubte schon, dass es sich herumwälzen und ins Meer flüchten würde, aber es schloss nur die Augen und döste weiter.
Ein Plan nahm in Reyns Kopf Gestalt an. Lautlos zog er sich vom Strand zurück. Unter den Bäumen gab es jede Menge Äste. Er suchte einen langen, geraden, kräftigen aus und band sein Messer fest an ein Ende. Er hatte noch nie gejagt, geschweige denn ein Tier getötet, aber davon ließ er sich nicht entmutigen. Wie schwer konnte es schon sein, sich an
Weitere Kostenlose Bücher