Zaubersommer in Friday Harbor
ein
Festessen, und ihr beide lauft mit chronischen Magenschmerzen rum.”
Nachdem sie den Hoffmanns geholfen hatte,
alles für die Leseparty vorzubereiten, ging Lucy in ihr Zimmer. Sie hockte
sich im Schneidersitz auf ihr Bett, den Laptop auf dem Schoß, und rief ihre
E-Mails ab. Tatsächlich war eine Mail eingegangen, und zwar von ihrem früheren
Professor und Mentor, Dr. Alan Spellman. Er war erst kürzlich als Kunst- und
Industrie-Koordinator an das weltberühmte Mitchell Art Center in New York berufen
worden.
Liebe
Lucy,
erinnerst
du dich noch an das Residenzprogramm für Künstler, das ich bei unserem letzten
Gespräch erwähnt habe? Es läuft ein ganzes Jahr, alle Ausgaben trägt das Art
Center, und man arbeitet mit Künstlern aus aller Welt zusammen. Du wärst die
perfekte Besetzung für diese Stelle. Ich glaube, dass du ein einzigartiges
Gespür für Glas als Ausdrucksmittel hast, während zu viele moderne Künstler
dessen illusorische Möglichkeiten übersehen. Dieses Förderprojekt würde dir die
Freiheit geben, Experimente durchzuführen, die für dich unter den derzeitigen
Bedingungen schwierig, wenn nicht gar unmöglich sind.
Lass
mich wissen, ob du einen Versuch wagen möchtest. Das Bewerbungsformular findest
du im Anhang. Ich habe schon ein gutes Wort für dich eingelegt, und sie sind
hier total begeistert von der Chance, etwas auf die Beine zu stellen.
Herzliche
Grüße
Alan Spellman
Die
Chance ihres
Lebens: ein Jahr in New York, um sich nur mit Glas zu befassen und zu
experimentieren.
Lucy
klickte auf den Link am Schluss der E-Mail, überflog die Anforderungen für eine
Bewerbung – ein Projektvorschlag von einer DIN A4-Seite, ein Anschreiben und
zwanzig digitale Fotos von ihren Arbeiten. Einen quälenden Moment lang gestattete
sie sich, darüber nachzudenken.
Ein neuer
Ort ... ein neuer Anfang.
Aber ihre
Chancen, sich gegen all die anderen Bewerber durchzusetzen,
waren so gering, dass sie es lächerlich fand, sich überhaupt Gedanken darüber
zu machen.
Wer bist du
schon, dass du glaubst, eine Chance auf diese Stelle zu haben? fragte sie sich.
Aber dann
drängte sich ein zweiter Gedanke auf. Wer bist du, dass du es nicht mal für
nötig hältst, den Versuch zu wagen?
Kapitel 7
ch
muss mit dir
reden, Lucy, hatte
ihre Mutter auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Ruf mich an, wenn du ein
paar Minuten Zeit ungestört sprechen kannst. Schieb's bitte nicht auf Es ist
wichtig.
Trotz des
drängenden Tonfalls hatte Lucy noch nicht zurückgerufen. Sie war sich sicher,
dass es um Alice ging, und sie wollte nur einen Tag lang mal nicht über ihre
jüngere Schwester nachdenken oder reden. Also hatte sie stattdessen den Nachmittag
damit verbracht, ihre zuletzt gefertigten Werke zu verpacken und an eine Reihe
von Geschäften in Friday Harbor auszuliefern.
„Wunderschön”,
freute sich Susan Seburg, Inhaberin eines Ladens und mittlerweile eine enge
Freundin von Lucy, als sie die Auswahl an Glasmosaiken in Augenschein nahm, die
Lucy ihr gebracht hatte. Es handelte sich um eine Serie von Frauenschuhen:
Pumps, hochhackige Sandalen, Keilschuhe und sogar ein Paar Turnschuhe. Sie
waren alle aus Glas, Keramik, Kristall und Perlen gefertigt. „Oh, ich wünschte,
ich könnte sie tatsächlich tragen! Weißt du, es wird bestimmt jemand
reinkommen und die ganze Serie auf einmal kaufen. In letzter Zeit bleiben deine
Arbeiten einfach nicht in den Regalen liegen. Sowie ich sie ausstelle, sind sie
auch schon verkauft.”
„Das ist
gut zu hören.”
„Deine
letzten Stücke haben etwas Bezauberndes an sich ... etwas ... Ach, ich weiß nicht,
etwas Besonderes. Einige Kunden denken darüber nach, bestimmte Arbeiten direkt
bei dir zu bestellen.”
„Das ist
toll. Aufträge kann ich immer gebrauchen.”
„Ja, es ist
gut, wenn man zu tun hat.” Susan legte die Akzentlampe aus der Hand und
schaute Lucy mitfühlend an. „Ich vermute, es hilft dir, dich abzulenken.”
Als Lucy sie verständnislos ansah, fügte sie hinzu: „Wegen Kevin Pearson und
deiner Schwester.”
Lucy senkte
ihren Blick auf den Terminkalender in ihrem Handy. „Du meinst, weil die zwei zusammenleben?”
„Das und
die Hochzeit.”
„Hochzeit?”,
wiederholte Lucy schwach. Ihr war, als hätte sich schlagartig Eis unter ihren
Füßen gebildet. Wenn sie auch nur einen Schritt tat, egal in welche Richtung,
würde sie ausrutschen und fallen.
Susans Gesichtsausdruck
änderte sich. „Das wusstest du noch nicht? Mist. Es tut mir leid,
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