Zaubersommer in Friday Harbor
Lucy. Ich
wollte nicht diejenige sein, die es dir sagt.”
„Sie sind
verlobt?” Lucy konnte es einfach nicht glauben. Wie hatte Alice es
geschafft, Kevin dazu zu bringen?
„Ich kann
mir schon vorstellen, irgendwann mal zu heiraten”, hatte er Lucy einmal
gesagt. „Aber ich habe es damit ganz und gar nicht eilig. Ich meine, ich bin
bereit, mit jemandem zu leben. Aus freien Stücken und für sehr lange Zeit. Aber
wo ist da der große Unterschied zur Ehe?”
„Es hebt
die Beziehung auf eine andere Ebene”, hatte Lucy geantwortet.
„Kann sein.
Kann aber auch sein, dass die Gesellschaft uns das einfach nur glauben machen
will. Haben wir das wirklich nötig?”
Offensichtlich
hatte er es jetzt nötig. Wegen Alice. Bedeutete das etwa, dass er sie wirklich
liebte?
Im Grunde
war Lucy nicht einmal eifersüchtig. Kevin hatte sie betrogen, und er würde
vermutlich auch Alice betrügen. Aber diese Neuigkeit brachte sie ins Grübeln.
Was stimmte mit ihr nicht? Vielleicht hatte Alice ja recht. Vielleicht war Lucy
ein Kontrollfreak und verjagte damit jeden Mann, der dumm genug war, sie zu
lieben.
„Es tut mir
leid”, wiederholte Susan. „Deine Schwester fährt mit einem Hochzeitsplaner
kreuz und quer über die Insel. Sie suchen nach einem geeigneten Platz für die
Feier.”
Das Telefon
in Lucys Hand zitterte. Sie steckte es in ihre Tasche, versuchte zu lächeln,
brachte aber nur eine Grimasse zu stande. „Na schön”, sagte sie. „Jetzt
weiß ich wenigstens, was meine Mutter heute Morgen wollte, als sie mir auf den
Anrufbeantworter gesprochen hat.”
„Du bist
kreidebleich geworden. Komm mit nach hinten. Ich habe kalte Getränke dort. Oder
ich mache dir einen Kaffee ...”
„Nein
danke, Susan, aber ich mache Schluss für heute. Mein Tag ist gelaufen.”
Das wilde Durcheinander der Gefühle begann sich zu setzen. Da waren
Traurigkeit, Verwunderung und Wut.
„Kann ich
irgendwas für dich tun?”, hörte sie Susan fragen.
Sofort
schüttelte Lucy den Kopf. „Mir geht es gut. Wirklich, mir geht es gut.”
Sie rückte den Trageriemen ihrer Tasche auf der Schulter zurecht und wandte
sich dem Ladenausgang zu. Als Susan noch etwas sagte, blieb sie stehen.
„Ich weiß
nicht viel über Kevin, und ich weiß praktisch nichts über deine Schwester. Aber
nach dem zu urteilen, was ich bisher gesehen und gehört habe ... sie passen
zusammen. Und das meine ich nicht als Kompliment für die beiden.”
Lucys
Fingerspitzen berührten die Glasscheibe der Tür. Einen Moment brachte ihr die
beruhigende Kühle und Glätte des Glases Erleichterung. Sie schenkte Susan ein
brüchiges Lächeln. „Ist schon in Ordnung. Das Leben geht weiter.”
Dann wandte
sie sich ab, verließ den Laden, ging zu ihrem Wagen, stieg ein und steckte den
Schlüssel ins Zündschloss. Sie drehte ihn um – und nichts geschah. Ungläubig
lachte sie auf. „Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein”, sagte sie
und versuchte es noch einmal. Klick-klick-klick-klick. Der Motor sprang
einfach nicht an. Da die Scheinwerfer funktionierten, lag es wohl nicht an der
Batterie.
Zur Pension
zurückzukommen war kein Problem. Sie lag nicht weit von hier. Aber der Gedanke,
sich mit Mechanikern herumärgern und eine Menge Geld für eine Reparatur hinlegen
zu müssen, war einfach zu viel. Das gehörte zu den Dingen, um die sich Kevin
für sie gekümmert hatte. Lucy ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken. „Einer meiner
Nebenverdienste”, hatte er
gescherzt, wenn er dafür gesorgt hatte, dass das Öl gewechselt und die
Scheibenwischerblätter ausgetauscht wurden.
Sich selbst
um den Wagen kümmern zu müssen, so ging es Lucy niedergeschlagen durch den
Kopf, war zweifellos das Schlimmste am Single-Dasein als Frau. Jetzt brauchte
sie etwas zu trinken, etwas Starkes und Betäubendes.
Sie stieg
aus dem Auto und ging zu einer Bar am Hafen. Dort konnte man sitzen, die Boote
bewundern und das Be- und Entladen der Fähren beobachten. Im neunzehnten Jahrhundert
war die Bar ein Saloon gewesen. Damals verkehrten hier hauptsächlich
Goldgräber, die während des Fraser-Goldrauschs nach British Columbia unterwegs
waren. Als die Goldgräber nicht mehr kamen, übernahmen andere Kunden: Soldaten,
Pioniere, Angestellte der Hudson Bay Company. Und im Laufe der Jahrzehnte war
der Saloon zu einer ehrwürdigen alten Bar geworden.
Aus Lucys
Tasche erklang eine fröhliche Melodie. Hastig kramte sie zwischen dem
Tascheninhalt – Lippenstift, loses Kleingeld, Kaugummi – herum und
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