Zaubersommer in Friday Harbor
habe”, begann ihre Mutter, „war ich mit einem Mann zusammen.
Ich habe ihn sehr geliebt. Und eines Tages teilte er mir mit, dass er sich in
meine beste Freundin verliebt habe.”
Nie zuvor
hatte ihre Mutter ihr davon erzählt. Lucy umklammerte den Telefonhörer und
brachte keinen Ton heraus.
„Es war
mehr als nur schmerzhaft. Ich hatte ... nun ja, ich nehme an, du würdest es
einen Nervenzusammenbruch nennen. Nie habe ich vergessen, wie das war. Ich
fühlte mich, als käme ich nie mehr aus dem Bett hoch. Als sei meine Seele viel
zu schwer, um mich zu bewegen.”
„Es tut mir
leid”, erwiderte Lucy sehr leise. „Es fällt mir schwer, mir vorzustellen,
dass du so etwas durchgemacht hast. Es muss schrecklich für dich gewesen
sein.”
„Das
Schlimmste daran war, dass ich meinen Freund und meine beste Freundin zugleich
verloren habe. Ich glaube, es tat ihnen beiden leid, mir solchen Schmerz
zuzufügen, aber sie liebten einander so sehr, dass alles andere unwichtig
wurde. Sie haben geheiratet. Später hat meine ehemalige Freundin mich um
Verzeihung gebeten, und ich habe ihr vergeben.”
„Hast du es
auch ernst gemeint?” Lucy musste diese Frage einfach stellen.
Ein
kleinlautes Lachen war die Antwort. „Ich habe die Worte gesagt. Mehr konnte
ich einfach nicht. Und ich war froh, dass ich wenigstens das getan habe, denn
sie starb schon ein Jahr nach der Hochzeit am Lou-Gehrig-Syndrom, einer
Krankheit, die nach und nach das gesamte Nervensystem befällt.”
„Und was
wurde aus dem Mann? Hast du je wieder Kontakt aufgenommen?”
„Das könnte
man so sagen”, gab ihre Mutter trocken zurück. „Ich habe ihn schließlich
geheiratet, und wir haben zwei Töchter.”
Lucy riss
überrascht die Augen auf. Sie hatte nie gewusst, dass ihr Vater schon einmal
verheiratet gewesen war. Dass er eine andere Frau geliebt und verloren hatte.
War das der Grund, dass er ständig so weit entfernt wirkte?
So viele
Geheimnisse, versteckt in der Familiengeschichte, versteckt in den Herzen der
Eltern.
„Warum
erzählst du mir das jetzt?”, brachte sie schließlich über die Lippen.
„Ich habe
Philipp geheiratet, weil ich ihn immer noch liebte und obwohl ich wusste, dass
er diese Liebe nicht genauso erwiderte. Er kam zu mir zurück, weil er trauerte
und allein war. Er brauchte jemanden. Aber das ist nicht dasselbe wie
lieben.”
„Er liebt
dich”, widersprach Lucy.
„Auf seine
Weise. Es war und ist eine gute Ehe. Aber ich musste immer mit dem Wissen
leben, dass ich nur seine zweite Wahl war. Und das ist etwas, was ich mir auf
keinen Fall für dich wünsche. Ich möchte, dass du einen Mann findest, der dich
für die Sonne und den Mond seines Lebens hält.”
„Ich glaube
nicht, dass es diesen Mann gibt.”
„Es gibt
ihn. Und, Lucy, auch wenn du zum falschen Mann Ja gesagt hast, hoffe ich doch
sehr, dass du dem richtigen Mann nicht deshalb einen Korb gibst.”
Kapitel 6
ach zwei Monaten im Artist's Point hatte
Lucy ein paar
Wohnungen gefunden, die für sie infrage kamen. Aber so richtig gefiel ihr keine
davon. Entweder war sie viel zu abgelegen oder zu teuer oder zu dunkel oder,
oder, oder. Sie würde sich bald entscheiden müssen, aber Justine und Zoë
meinten, sie solle sich ruhig so viel Zeit nehmen, wie sie nun mal brauchte.
Es hatte
Lucy unglaublich gutgetan, bei den Hoffmanns untergekommen zu sein. Ihre
Gesellschaft war das perfekte Gegenmittel für ihren Trennungs-Blues. Immer
wenn sie sich niedergeschlagen oder allein fühlte, konnte sie Zoë in der Küche
Gesellschaft leisten oder eine Joggingrunde mit Justine drehen. Es war nahezu
unmöglich, in Justines Nähe traurig zu sein, denn sie hatte einen ausgefallenen
Sinn für Humor und verfügte über endlose Energiereserven.
„Ich kenne
genau den Richtigen für euch”, verkündete Justine eines Nachmittags,
während sie, Zoë und Lucy die Pension für eine monatlich stattfindende
Veranstaltung herrichteten – eine stille Leseparty. Ursprünglich war das Zoës Idee gewesen. Die Leute konnten
ihre Lieblingsbücher mitbringen oder sich Lektüre aus der Büchersammlung der
Pension auswählen. Dann ließen sie sich in den bequemen Sofas oder Sesseln des
großen Aufenthaltsraums im Erdgeschoss nieder, wo Wein und Käse bereitstanden,
und lasen in Ruhe ihre Bücher.
Justine
hatte sich zunächst über die Idee lustig gemacht. „Warum sollte jemand zum
Lesen irgendwohin gehen, wenn er das auch zu Hause tun kann?”
Aber Zoë
hatte sich durchgesetzt, und der
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