Zaubersommer in Friday Harbor
fair. Erst musst du mich von vorn und hinten
bedienen und dann auch noch einen Besuch meiner Eltern über dich ergehen lassen.”
„Macht
nichts.”
„Dad wird
dir vermutlich gefallen. Er erzählt Physikerwitze, deren Pointe nie einer
versteht.”
„Zum Beispiel?”
„Warum hat
das Huhn die Straße überquert? Weil ein Huhn in Ruhe dazu neigt, auf seinem
Platz zu verharren. Hühner in Bewegung neigen dazu, die Straße zu
überqueren.” Lucy verdrehte die Augen, als er lachte. „Ich wusste, dass
du das witzig finden würdest. Wohin sollten wir deiner Meinung nach zum Essen
gehen?”
„Duck
Soup”, antwortete
Sam. Das war eins der besten Restaurants der Insel, ein von wildem Wein
überwuchertes Gasthaus, dessen Küche auf regionalen Produkten, Erzeugnissen
aus dem eigenen Garten sowie frisch gefangenem Fisch und Meeresfrüchten
basierte. Im Eingangsbereich hing ein skurriles Porträt von Groucho Marx.
„Ich liebe
dieses Lokal”, sagte Lucy, „aber Kevin und ich waren schon mal dort mit
ihnen essen.”
„Inwiefern
spielt das eine Rolle?”
Lucy zuckte
die Achseln. Sie wusste selbst nicht so recht, warum sie das gesagt hatte.
Aufmerksam
musterte Sam sie. „Ich fürchte den Vergleich mit Kevin nicht.”
Lucy
spürte, wie sie rot wurde. „Daran habe ich gar nicht gedacht”, gab sie
gereizt zurück.
Sam
schenkte ein wenig Wein nach und hob sein Glas. „Mit der Zeit laufen sich alle
Absätze ab.”
Das
entlockte ihr ein Lächeln, denn natürlich kannte sie den Spruch von Groucho
Marx. „Darauf trinke ich”, sagte sie und hob ebenfalls ihr Glas.
Beim Essen
sprachen sie über Filme und stellten dabei fest, dass sie beide eine Vorliebe
für alte Schwarz-Weiß-Filme hatten. Als Lucy bekannte, niemals Die Nacht
vor der Hochzeit mit Cary Grant und Katharine Hepburn gesehen zu haben, bestand
Sam darauf, sie müsse sich diesen Film unbedingt ansehen. „Das ist eine
klassische Screwball-Komödie. Du kannst nicht behaupten, dass du alte Filme
magst, wenn du diesen nicht gesehen hast.”
„Zu schade,
dass wir ihn uns nicht heute Abend anschauen können”, bedauerte Lucy.
„Warum
können wir nicht?”
„Du hast
den Film auf DVD?”
„Nein, aber
ich kann ihn aus dem Internet herunterladen.”
„Aber das dauert doch
ewig!”
Ein
selbstzufriedenes Lächeln huschte über Sams Gesicht. „Ich habe einen
Download-Beschleuniger, der gleichzeitig mehrere Verbindungen mit verschiedenen
Servern aufbaut. Fünf Minuten. Höchstens.”
„Manchmal
versteckst du deinen inneren Streber so gut”, staunte Lucy, „und dann
wieder lässt er sich unvermutet blicken.”
Nach dem
Essen gingen sie ins Wohnzimmer, um sich den Film anzuschauen. Lucy war sofort
gefesselt von der Geschichte um die kalte unnahbare Erbin, ihren charmanten
Exmann und den zynischen Reporter, der von James Stewart gespielt wurde. Die
Dialoge waren geprägt von eleganter Schlagfertigkeit und feinem Humor, das
Timing der Pausen und Reaktionen einfach perfekt.
Während die
Schwarz-Weiß-Bilder über den Bildschirm flackerten, lehnte Lucy sich gegen
Sam. Sie rechnete mit Protest, denn der entspannte Abend zu zweit und der
zaghafte Austausch von Vertraulichem hatte zu einem Gefühl der Intimität
geführt, das er womöglich nicht auch noch fördern wollte. Aber er legte den Arm
um sie und ließ ihren Kopf an seiner Schulter ruhen. Sie seufzte, genoss seine
zuverlässige Wärme neben sich, den Halt, den das Gewicht seines Armes ihr gab.
Je mehr sie sich seiner Nähe bewusst wurde, desto schwerer fiel es ihr, ihn
nicht zu berühren, nicht nach ihm zu greifen.
„Du schaust
dir den Film gar nicht an”, stellte Sam fest.
„Du auch
nicht.”
„Woran
denkst du?”
Über dem
Schweigen perlte der Filmdialog wie Champagnerschaum.
„Es kann
doch nicht so etwas wie Liebe sein, oder?”
„Nein,
auf keinen Fall.”
„Das
wäre auch äußerst lästig.”
„Geradezu
schrecklich.”
„Ich habe
daran gedacht”, sagte Lucy, „dass ich noch nie eine Beziehung gewagt habe,
in der niemand irgendwelche Versprechen gibt. Ich mag diese Regel. Denn wenn
man kein Versprechen gibt, kann man auch keines brechen.”
„Es gibt
noch eine Regel, von der ich dir nichts erzählt habe”, meinte Sam
vorsichtig. Sie spürte seinen Atem in ihren Haaren. „Wie lautet sie?”
„Du musst
wissen, wann es Zeit ist, aufzuhören. Wenn einer von uns sagt, es sei zu Ende,
ist der andere einverstanden. Ohne Widerspruch, ohne Diskussion.”
Lucy
schwieg. Ihr Magen
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