Zebraland
zum ersten Mal unterhalten haben. Sondern wegen des Zebras, das nirgendwo richtig hinzugehören scheint. Keine Ahnung, wo es herkommt, vielleicht hat ein Wanderzirkus es vergessen.
Das Zebra sei einzigartig, meinte D. neulich. »Wie du, Yasmin!« So wie er es sagte, klang »einzigartig« nicht nach »verloren« und »allein«, wie es sich manchmal anfühlt.
So wie er es sagte, klang es richtig gut.
Ich fühlte mich von Yasmins Zeilen ertappt.
Anouk und Philipp waren zusammen.
Philipp und Judith waren anscheinend seit der Steinzeit befreundet.
Nur ich gehörte zu niemandem, war irgendwie außen vor. Selbst in dieser Gruppe von Schuldigen und Lügnern war ich der Outsider.
Oft fühlte ich mich Yasmin und ihren Gedanken näher als Philipp, Judith oder Anouk. Vielleicht begann ich deshalb, mich mehr und mehr in ihr Tagebuch zu flüchten.
Plötzlich spürte ich etwas Kaltes, Feuchtes an meiner Hand. Vor Schreck ließ ich das Tagebuch fallen.
Das Kalte war die Nase eines Labradors, der mich neugierig beschnüffelte. Ehe ich Yasmins Tagebuch aufheben konnte, kam schon der Besitzer des Hundes um die Ecke. Es war dieser Daniel Solltau.
»Kara! Kara, hierher!«, rief er. Doch der Hund ließ sich lieber von mir hinter den Ohren kraulen. »Tut mir leid, dass sie dich belästigt hat. Sie ist mir abgehauen«, sagte Daniel und nahm Kara wieder an die Leine.
»Macht nichts.« Mit dem Fuß schob ich Yasmins Tagebuch vorsichtig unter die Bank. Daniel schien es nicht zu bemerken.
»Ich hab dich hier schon öfter gesehen. Warum sitzt du eigentlich immer hier?« Vielleicht war ich bereits paranoid, aber ich fand, dass seine Frage fast wie eine Anklage klang. Was für ein Unsinn.
»Ic h … ich sitz hier nur so rum. Ist ein schöner Platz, oder?«
Dumpf stierte Daniel die Bank an. »Ja«, sagte er. »Ist ein schöner Platz.« Ich fragte mich, ob alle Hochbegabten so komisch drauf waren.
Nachdem er mit seinem Hund weitergegangen war, hob ich Yasmins Tagebuch auf und wischte mit dem Ärmel den Schmutz vom Einband.
In dieser Nacht kam Yasmin zu mir. Sie saß auf dem Rücken des Zebras wie eine feine Dame. Ihre Beine baumelten an einer Seite herunter.
Sie ritt ganz dicht an mich heran. Statt ihres MP 3-Players hatte Yasmin die Stöpsel eines Stethoskops in den Ohren. Wie eine Ärztin hörte sie mein Herz ab. Dabei wippte sie im Takt mit den Füßen.
Es war, als lauschte sie auf eine Musik in meinem Inneren, die ich nicht hören konnte.
Schließlich richtete Yasmin sich auf und sah mich abwartend an.
Ich wollte ihr sagen, wie leid es mir tat, dass sie tot war, doch ich konnte nicht sprechen. Ich konnte nicht schreien, nicht singen. Mein Mund war zugewachsen.
Da lächelte Yasmin ihr kleines, schelmisches Lächeln. An ihren Schneidezähnen war Blut. Das Zebra trug sie davon, hinaus aus meinem Traum.
Als ich erwachte, spürte ich eine kalte Stelle auf meiner Brust, dort, wo Yasmins Stethoskop gelegen hatte. Lange lauschte ich nach dem Lied, das sie in meinem Inneren gehört haben mochte.
Doch das Einzige, was ich vernahm, war mein ängstlicher Herzschlag.
Judith
Die Turnhalle ist voller Menschen. Kein Wunder: Vollversammlung heißt, dass zwei Schulstunden ausfallen. Ein paar Lehrer stehen mit verschränkten Armen und skeptischem Blick neben den Sitzreihen. Ab und zu schnauzt einer von ihnen die Sechstklässler an, die aufgedreht herumflitzen. Der Rest der Schüler drängt sich auf den Bänken, von ihren Stimmen scheint die Luft zu summen wie ein Bienenstock.
Ich sitze zwischen Ziggy und Anouk, die mal wieder nervös eine Haarsträhne um ihren Finger wickelt.
Mitten in der Halle, in einer Wüste aus grauem Linoleum, steht das Mikrofon. »Phil packt das schon«, murmle ich. Es klingt nicht sehr überzeugend.
»Ja, es ist nu r … ich bin seine Freundin«, sagt Anouk leise, als müsse sie sich irgendwie rechtfertige n – dafür, dass sie so fertig ist und ich so cool bleiben kann.
»Ich weiß«, entgegne ich barsch.
»Meint ihr eigentlich, diese Yasmin hatte einen Freund?«, fragt Ziggy plötzlich.
»Glaub nicht. Wieso?«, frage ich irritiert zurück.
»Ach, nur so’n Gedanke«, antwortet Ziggy und fährt sich über das Gesicht. Er hat dunkle Ringe unter den Augen.
»Hey, alles in Ordnung mit dir?«, fragt Anouk besorgt.
»Ja, ja. Hab in letzter Zeit nicht so gut geschlafen«, winkt er ab.
Bevor Anouk nachhaken kann, tritt unser Schulsprecher und Fußballheld Erik Janitz, alias Dumbo, ans Mikro. Er hat diesen
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