Zebraland
Hexe.«
Anouk und Ziggy schlendern langsam wieder zu den anderen Zuschauern zurück, anscheinend wollen sie Phil und mir etwas Zeit für uns geben.
Aufmerksam mustert Phil die Tribüne. »Meinst du, dass er auch hier ist? Mose, dieses Schwein?«
»Ja.«
Mit den Blicken tasten wir fremde Gesichter ab. Als könnten wir die Menschen durchleuchten.
»Weißt du eigentlich, wie gerne ich dir beim Laufen zugucke?«, fragt Phil plötzlich.
»Sagst du das, um mich aufzumuntern?«
»Nein. Es sieht schön aus, wie du rennst, Hexe. Du bist dann irgendwi e …« Phil stockt, als müsse er nach den richtigen Worten suchen. »Du bist so ganz du selbst.«
Was ich an Phil besonders mag
1.) Wenn er »Hexe« zu mir sagt, in diesem spielerischen, zärtlichen Tonfall. Dann kann ich sogar das Hässliche an mir leiden.
2.) Im Gegensatz zu meinen Eltern kommt Phil zu jedem meiner Wettkämpfe, um mich anzufeuern.
3.) Er ist größer als ich (1, 93 m). Aber unsere Hände wären gleich groß, wenn wir sie aufeinanderlegen würden.
4.) In seiner Nähe zu sein, beruhigt mich.
5.) Die Art, wie er sich beharrlich durch seine Sätze stottert, finde ich einfac h … liebenswert.
Punk t 5 würde ich ihm natürlich nie verraten. Gut, er wird auch 1 bis 4 nie erfahren.
Phil stottert vielleicht, aber ich werde gleich ganz stumm, wenn ich zu viel fühle. Ich kann nicht über meine Gefühle sprechen. Jedes Mal scheine ich von einer dicken Glaswand umgeben zu sein, die ich nicht durchbrechen kann.
Am liebsten würde ich gar nichts sagen müssen und Phil einfach küssen.
Vielleicht hat er was gemerkt, denn er blickt mich erstaunt an, als hätte er plötzlich etwas Neues in meinem Gesicht bemerkt, was ihm vorher noch nie aufgefallen ist.
»Judit h …« Ich sehe die Entschuldigungen und die Dankesworte auf seinen Lippen und beiße die Zähne zusammen.
Damals nach dem verunglückten Fußballspiel war ich nach Hause gerannt. Meine Mutter hatte mich wortlos gemustert, während ich ihr schniefend alles berichtete. »Das ist so unfair! Warum sind die so gemein zu Carsten und mir?«
Sie war im Bad verschwunden und kurz darauf mit Taschentüchern und einem kleinen, runden Spiegel zurückgekommen, den sie mir vors Gesicht hielt. »Was siehst du?«, fragte sie.
Ich sah ein Mädchen mit verquollenem Gesicht. Einem Gesicht, aus dem meine scheußliche Hexennase hervorragte.
Als ich wieder anfing zu schluchzen, hatte meine Mutter für mich geantwortet: »Schwäche. Was du da siehst, ist Schwäche. Und die anderen da draußen sehen sie auch. Gib Menschen nie solche Macht über dich, Judith.«
Daran habe ich mich gehalten. Auch jetzt, als ich Phil einen Finger auf den Mund lege. »Bitte. Sei einfach still.«
Ich will nicht, dass er mich weinen sieht. Dass er mich sieht, wie ich wirklich bin: schwach und hässlich, mit einer Hexennase.
Darum drehe ich mich rasch um und gehe über den roten Sportplatz davon.
Ziggy
Z: »Weißt du, was ich mich schon immer gefragt habe, Elmar?«
E: »Was ’ n, Mohn?«
Z: »Sind Zebras eigentlich schwarze Pferde mit weißen Streifen oder weiße Pferde mit schwarzen Streifen?«
E: »Das ist genauso, als würdest du fragen: Sind die Menschen grundsätzlich scheiße und haben nur ab und zu mal lichte Momente? Oder sind sie eigentlich ganz in Ordnung, bauen aber ständig Mist? Total sinnlos, solche Fragen, Mohn.«
Z: »Irgendwie hast du Recht, dieses Schwarz-Weiß-Denken ist behämmert. Gibt ja ganz viele Gedanken und Gefühle dazwischen. Menschen sind bunt.«
E: »Und Zebras sind Zebras.«
Ich ging immer öfter zum Zebragehege. Es beruhigte mich irgendwie, dem Zebra zuzusehen, wie es graste. Es machte sich keine Gedanken, es war einfach nur da .
Ich wünschte, ich könnte das auch. Stattdessen ging mir Judiths versteinertes Gesicht nach dem verlorenen Wettlauf nicht mehr aus dem Sinn. Der ganze Schlamassel, in dem wir jetzt steckten.
Um mich abzulenken, las ich weiter in Yasmins Tagebuch:
K. war schon immer eifersüchtig auf mich. Dabei habe ich mir doch nicht ausgesucht, Vaters Liebling zu sein! Es ist einfach so.
Kalbim , so nennt Baba mich oft. Mein Herz. Seine Augen strahlen vor Stolz und Zärtlichkeit, wenn er davon redet, dass ich die Erste in der Familie bin, die studieren wird. Seine Tochter, eine erfolgreiche Ärzti n …
Und K. wirft mir über die Sofaecke böse Blicke zu. Immer tut er so, als sei er um mich besorgt, dabei versucht er in Wirklichkeit alles, um mich bei Vater schlechtzumachen. Zum
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