Zebraland
ich hätte den Mumm dazu.
Stattdessen ließ ich die Blicke und das Flüstern über mich ergehen. Elmar hätte das bestimmt nicht auf sich sitzen lassen! Der hätte ihnen gehörig die Meinung gegeigt! Doch vielleicht war ich inzwischen einfach viel zu müde, mich zu wehren.
Nachts konnte ich kaum schlafen, dann schleppte ich mich durch den Tag. Das Zebragehege war der einzige Platz, an dem ich richtig abschalten konnte.
Das Zebra fand mich nicht merkwürdig. Es verurteilte mich auch nicht für das, was ich getan oder unterlassen hatte. Ein Zebra und ein Scheiß-Tagebuc h – das Einzige, was mir noch geblieben ist!, dachte ich bitter. Von wegen wir-sitzen-alle-auf-derselben-Insel.
Jetzt war ich ’ne Scheiß-einsame-Insel.
Fast eine Woche haben wir uns nicht mehr gesehen. Nach unserem schlimmen Streit war es das Beste gewesen, sich aus dem Weg zu gehen. Und heute hat D. mich angefleht, ihm zu verzeihen.
Er hat sich meinen Namen auf die Brust tätowieren lassen, direkt über dem Herzen. In arabischen Zeichen, wie im Koran.
Ich hab es nicht über mich gebracht, ihm zu sagen, dass Tattoos unter gläubigen Muslimen als haram gelten. D. hat auch gesagt, sollte er mich je verlieren, er wüsste nicht, was er täte.
Plötzlich fühlte ich mich beobachtet. Als ich von dem Tagebuch aufschaute, entdeckte ich Anouk. Sie schien mich schon eine Weile zu beobachten. Automatisch hob ich die Hand, um ihr zuzuwinken, ließ sie aber dann unsicher wieder sinken. Was wollte sie hier?
Anouk war bei meiner Bewegung erschrocken, doch dann winkte sie unbeholfen zurück und kam mit zögernden Schritten zu mir herüber.
»Hallo, Ziggy. Wie geht’s dir?«
»Hat Philipp dir nicht verboten, mit mir zu reden?«, fragte ich wenig freundlich.
Anouk zuckte unbehaglich die Schultern. »Vielleicht finde ich ja nicht alles gut, was Philipp macht?« Es klang so, als sei sie nicht sicher, ob das eine Frage oder eine Feststellung sein sollte.
»Kannst dich ruhig setzen, ich beiße nicht.«
Sie ließ sich neben mir auf der Kante der Bank nieder. Ein Vögelchen, jederzeit bereit, wieder davonzuflattern.
»Und, was macht ihr so?«, fragte ich. Irgendwas musste ich ja sagen.
»Oh, Philipp ist immer noch frustriert wegen der Schülerzeitung. Natürlich könnte er in der Redaktion bleiben, das hat Mose ja nicht verboten. Aber Philipp sagt, er lässt es lieber ganz, als Carstens Untergebener zu werden. Du kennst ihn j a …« Wir grinsten ein bisschen.
»Und Judith, die ist total im Stress wegen der Interviews. Der Yasmin-Artikel soll ja in zwei Wochen erscheinen und sie muss noch einen Haufen Leute befragen.«
»Was fragt sie die denn so?«
»Na ja, was ihr schönstes Erlebnis mit Yasmin war, welche besonderen Eigenschaften sie hatte, was sie ihr noch gern sagen würde n …«
Wir schwiegen.
»Und du?«, fragte ich schließlich. »Was machst du hier?«
Anouk errötete und drehte nervös eine Locke um ihren Finger: »Ic h … also ic h …«
Plötzlich kam mir ein Verdacht. Es war so albern, dass ich es kaum rausbrachte: »Spionierst du mir etwa auch hinterher?«
Ihre Wangen wurden noch röter. Anscheinend hatte ich ins Schwarze getroffen. »Wi r … also wir haben uns Sorgen gemacht.«
»Sorgen«, wiederholte ich. »Ist ja ’ne tolle Art, sich um jemanden zu sorgen. Ich weiß schon, auf wessen Mist das gewachsen ist. Und soll ich dir was sagen: Das Einzige, worum Philipp sich sorgt, ist sein eigener Arsch!« Als ich Anouks unglückliche Miene sah, fügte ich hinzu: »Okay, und vielleicht deine r …«
Anouk schien den Tränen nahe. »Ziggy, ich glaube, du bist irgendwi e … durcheinander. Ich glaub e … Ach, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll!« Sie krümmte sich zusammen, ihr langes Haar fiel ihr ins Gesicht.
Eine Weile saß ich einfach nur neben ihr und hörte sie weinen. Es tat gut zu sehen, dass jemand mal echte Gefühle zeigte.
Es tat gut, sich einmal nicht als das schwächste Glied in der Kette zu fühlen.
»Ich hab Angst, Ziggy. Kannst du das verstehen?« Anouk hob den Kopf, mit verquollenen Augen sah sie mich an. »Philipp und Judith sind immer so star k … aber ich, ich hab einfach nur Angst!« Sie schluckte. »Gestern kam der Brief mit meiner Aufgabe. Und statt sie zu erfüllen wie die anderen, denke ich die ganze Zeit darüber nach, wie ich vielleicht doch noch drum herumkommen könnt e …«
Sie zog einen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche, der aussah, als sei er schon zu oft gelesen worden.
»Als
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