Zebraland
Haut hindurchschimmert. Doch dann sehe ich, dass beide Unterarme mit Tattoos übersät sind.
Als die Frau Anouk erkennt, lächelt sie freundlich: »Du schon wieder.«
»J a …« Anouk räuspert sich. »Diesmal bin ich mir sicher. Wirklich. Ich hab eine Freundin mitgebracht«, fügt sie schnell hinzu, als sei ich ein Beweis für die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten.
Es ist ein seltsames Gefühl, von Anouk als Freundin bezeichnet zu werden.
»Na, dann such dir mal ein Motiv aus, Kleine«, sagt die Frau und deutet auf die Schnellhefter voll mit Bildern und Tribals, die auf der Theke liegen. »Vielleicht ein chinesisches Glückszeichen? Die sind schön und trotzdem dezent, wenn du was willst, was nicht so auffällig is t …«
»Nein, danke, ich habe schon ein Motiv«, erwidert Anouk und ihre Stimme zittert kaum merklich.
»Gut«, antwortet die Tätowiererin, »dann zeig doch mal her.«
Anouk nickt und zieht ein Stück Papier aus der Tasche, auf das fein säuberlich ein Kreis von der Größe eines Zwei-Euro-Stücks gemalt ist.
Für einen Moment wirkt die Tätowiererin überrascht: »Ungewöhnliches Motiv, gerade für ein Mädchen.«
»Sie können es doch machen, oder?«, fragt Anouk besorgt. Ihr ängstlicher Eifer, die Aufgabe zu erfüllen, es Mose und uns anderen recht zu machen, ist rührend.
»Klar!« Die Frau lacht rau. »Ich kann alles machen. Ich kann dir ’ne Madonna auf die Fußsohlen tätowieren, wenn du das willst.«
»Nein!«, ruft Anouk erschrocken. Anscheinend ist sie so angespannt, dass sie nicht mal mehr mitbekommt, dass das gerade ein Witz sein sollte. »Nein, es muss dieses Motiv sein, kein anderes! Auf die Innenseite des rechten Handgelenks.«
»Wie du meinst, Kleine.« Die Frau zuckt die Schultern. »Dann komm mal mit hinter.«
»Bitte, darf Judith mitkommen?«, fragt Anouk flehend. Die Angst in ihren Augen ist mitleiderregend. Die Tätowiererin nickt zögernd. »Na gut. Ausnahmsweise.«
Wir steigen eine kleine Treppe hinauf, dann stehen wir in einem niedrigen Raum, der meinen Vorstellungen eines Tattoo-Studios schon eher entspricht: Die Wände sind rot, wo sie nicht mit Fotos von frisch gestochenen Tattoos bedeckt sin d – Totenschädel, ein bunter japanischer Drache, der sich den kompletten Rücken eines Mannes hinaufwindet, feine Ranken, wie ein Fußkettchen um einen Knöchel geschlunge n …
Anouk lässt sich auf einem Hocker nieder. Aus irgendeinem Grund habe ich erwartet, dass sie sich auf einen Stuhl setzen muss, der diesen Foltergeräten beim Frauenarzt ähnelt. Aber besonders unheimlich ist es hier eigentlich nicht, nur eng. Ich setze mich auf eine Liege (die sieht tatsächlich nach Arztliege aus) und harre der Dinge, die da kommen.
Mit einem Cutter schneidet die Tätowiererin den Kreis aus, drückt die Schablone auf Anouks Haut und umfährt sie mit einem Stift. Im Stillen denke ich, wie gut ein Kreis zu Anouk passt. Keine Ecken und Kanten, nichts Prägnantes.
Sie sitzt einfach nur da, die dunklen Augen angstgeweitet. Wie ein Schaf auf der Schlachtbank.
»Wie heißt du, Kleine?«, fragt die Tätowiererin. Ihre Stimme ist warm und beruhigend.
Anouk flüstert ihren Namen.
»Schön, dich kennenzulernen, Anouk. Ich bin Luzie«, sagt die Tätowiererin, während sie Anouks schmales Handgelenk mit einem Wattebausch desinfiziert.
»Welche Farbe möchtest du, Anouk? Schwarz?«
Anouk guckt Hilfe suchend zu mir rüber. Über die Farbe hat Mose nichts geschrieben, aber ich nicke. »Ja, schwarz«, bestätigt Anouk.
Luzie wirft mir einen forschenden Blick zu, als würde sie spüren, dass hier etwas nicht stimmt. Irgendwas an ihrem Blick irritiert mich schon die ganze Zeit. Aber ich komme einfach nicht drauf, was es ist.
Die Tätowiererin bewegt die Schultern, als wollte sie ihre Bedenken abschütteln. Dann füllt sie etwas schwarze Farbe in ein Deckelchen. Die Farbe ist flüssig und dunkel wie die Tusche, mit der wir früher in der Schule gezeichnet haben. Man musste immer aufpassen, dass kein Wasser drankam, weil sonst alles verschwamm.
Doch diese Farbe wird kein Wasser der Welt später abwaschen können. Sie ist unvergänglich und verlischt erst mit ihrem Träger.
»Also gut, Anouk. Dann starten wir«, sagt Luzie und schaltet die Tätowiermaschine an. Das Ding ist ziemlich laut. Anouk fasst rasch nach meiner Hand, ihre Finger sind schweißnass. Als Luzie die Nadel aufsetzt, zittere ich fast noch mehr als Anouk. Sie wimmert leise, wie ein kleines Tier in Not.
»Tut’s
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