Zebraland
weh?«, fragt Luzie.
»Es vibriert eher«, entgegnet Anouk erstaunt. »Komisches Gefühl.« Luzies röchelndes Lachen vermischt sich mit dem Surren der Maschine, während Anouks Haut sich langsam schwarz färbt.
Hin und wieder taucht die Tätowiererin die Nadelspitze in das Farbdeckelchen, dann arbeitet sie weiter.
»Jetzt tut’s weh«, sagt Anouk nach einer Weile.
»Tja, ist ’ne empfindliche Stelle. Hier liegen die Adern dicht unter der Haut. Und je länger es dauer t …«
Anouk drückt meine Hand.
Unsere verflochtenen Finger haben etwas Intimes. Dabei sind Anouk und ich keineswegs Freundinnen, wir kennen uns ja kaum! Unser einziger Verbindungspunkt ist immer Philipp gewesen.
Ich will meine Finger aus Anouks Griff lösen, doch sie hält sie fest. Lautlos beginnt sie zu weinen. Die Tränen laufen ihr einfach so die Wangen runter, ohne einen Ton. Es wäre weniger schlimm, wenn sie richtig heulen würde.
Warum mir schlecht wird
1.) Die Art, wie Anouk weint.
2.) Der scharfe Geruch des Desinfektionsmittels, der mir in den Nasenlöchern brennt.
3.) Dieses schreckliche Geräusch der Maschine, das mich an so einen verdammten Zahnarztbohrer erinnert.
4.) Der Gedanke, dass die Nadel Anouks Haut durchstößt.
5.) Die Frage, wie Mose ihr das nur antun kann. Was ist das für ein Mensch?
Das Geräusch der Tätowiermaschine verstummt. »Ist dir übel?«, fragt Luzie. Vielleicht hat sie schon mehrmals gefragt und ich habe bloß erst jetzt kapiert, dass sie mich meint.
»Das ist der Kreislauf, der macht hier öfter mal schlapp. Streck dich einfach auf der Liege aus, sitzt ja schon drauf.« Ich mache, was sie sagt. Sie beugt sich über mich und jetzt weiß ich, was mich an ihrem Blick die ganze Zeit so verunsichert hat. Es sind ihre Augen, die sich nie zu schließen scheinen. Auf die dünne Haut der Lider sind schmale Katzenpupillen tätowiert, die mich anstarren, wenn Luzie blinzelt. Doppel-Auge.
Mir ist ganz schwummerig, schnell presse ich die Lider zusammen und alles versinkt in gnädigem Dunkel.
»Das ist mir ja auch selten untergekommen. Der Begleitung wird schlecht, während die Patienti n … du bist richtig tapfer, Kleine.«
Dann ist Anouk bei mir und streicht mir mit sanften Fingern das verschwitzte Haar aus der Stirn. »Arme Judith. Jetzt ist dir meinetwegen auch noch schlech t …« Bei ihren mitfühlenden Worten winde ich mich innerlich.
»Danke, dass du das für mich machst, Judith. Das ist nett«, flüstert sie, »dabe i … das ist irgendwie peinlich, aber du kannst dir nicht vorstellen, wie eifersüchtig ich anfangs auf dich war.«
»Auf mich?« Vor Verblüffung vergesse ich, wie schlecht mir ist, und richte mich auf, um sie anzusehen.
»Und ob! Philipp redet ständig von dir: Judith hat dies gesagt, Judith hat das gemach t … Er bewundert dich. Dafür, dass es dir egal ist, was andere von dir halten.«
Manchmal habe ich das Gefühl, dass nicht mal mein bester Freund mich richtig kennt.
»Aber ic h … ich bin nicht so wie du«, seufzt Anouk. »Mir ist wichtig, dass andere mich mögen. Weißt du, ich bin nicht besonders klug oder talentiert oder so. Das Einzige, was den Leuten an mir auffällt, ist, dass ich hübsch bin. Meinst d u … meinst du, Philipp kann mich überhaupt noch leide n … damit?«, fragt sie und hebt den rechten Arm. Dieses dunkle Mal an ihrem Handgelen k – es erinnert an das Stigma einer Märtyrerin.
Dieses Mädchen macht mich fertig. Plötzlich denke ich, dass Anouk durchaus etwas Außergewöhnliches kann. Und es hat nichts damit zu tun, dass sie vermutlich von Kopf bis Fuß tätowiert noch hübsch aussehen würde. Es ist ihre Art, mich anzusehen, mit diesen großen, sanftmütigen Augen, die mich zwingt wegzusehen und zu nicken.
»Geht’s wieder, Judith?«, fragt Luzie. »Dann ist es vielleicht besser, du wartest unten, bis wir fertig sind.« Gehorsam erhebe ich mich und wanke hinaus. Das Tageslicht blendet mich. In einem der Rattanstühle wartet jemand.
Es ist Philipp.
»Du bist ja doch gekommen«, stelle ich fest und setze mich neben ihn.
»Hm. Ich konnte einfach nicht zu Hause warten, währen d … Ist es schlimm?«, fragt er.
»Ziemlich«, antworte ich.
Über der Theke hängt eine Uhr, das Zifferblatt ist die Abbildung eines silbernen Totenschädels. Wir beobachten gemeinsam, wie der Minutenzeiger über die leeren Augenhöhlen und das grinsende Gebiss wandert.
Nach ungefähr zwanzig Minuten kommt die Tätowiererin die Treppe herunter. Wir hatten Geld
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