Zebulon
die Nase gehalten. Jetzt bist du berühmt, mein Sohn. Es gibt eine Story über dich. Schuldig oder nicht schuldig. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Der Gefängnisdirektor wird dir ab und zu den Arsch aufreißen, bloß so zum Spaß. Wenn er anfängt, über Gott und den Teufel zu quasseln, lass ihn reden. Wenn du auch nur die Nase rümpfst, lässt er dich ganz langsam in den Fluss hinab und sieht kalt lächelnd zu, wie du absäufst.«
Sie fuhren noch drei Kilometer am Fluss entlang, trinkend und rauchend, bis sie vor einem zweistöckigen, schindelgedeckten Neubau mit blau gestrichenen Fenster- und Türrahmen ankamen, der in einem großen, von einem weißen Zaun umgebenen Garten stand. Vor dem Haus sah Zebulon das Gefängnisschiff liegen, das mitten im Fluss an zwei Ahornbäumen vertäut war.
»Das ist sie, mein Sohn«, erklärte Bent. »Deine Heimat fern der Heimat.«
Er führte Zebulon an zwei vor der Tür postierten Wachposten vorbei in das Haus und dann durch einen langen Korridor, an dessen Wänden Porträts der Präsidenten Washington, Jefferson und Madison hingen. Irgendwo im ersten Stock sang eine Frau ein irisches Wiegenlied.
Bent klopfte an eine Tür, dann noch einmal. Als noch immer niemand aufmachte, öffnete er sie und ließ Zebulon eintreten.
Ein schmächtiger Mann mittleren Alters mit Nickelbrille und weißem Leinenanzug saß über eine Patience gebeugt an einem Schreibtisch. An der Wand hing neben einer Cheyenne-Kriegshaube und zwei Crow-Tomahawks eine Fruchtbarkeitsmaske der Hopi. Auf einer abgenutzten Ledercouch gegenüber dem Schreibtisch stapelten sich Bücher und eine Scrimshaw-Schnitzerei, ein versteinerter Walrosspenis, ein poliertes Bisonhorn und vier Papago- und Zuni-Körbe.
Bent räusperte sich: »Der Gefangene wäre angekommen, Sir. Gesund und munter.«
Der Direktor schob die Karten zusammen und legte sie in ihre Elfenbeinschatulle zurück, dann sah er auf und musterte Zebulon vom Scheitel bis zur Sohle.
»Nach dem, was in der Zeitung gestanden hat, habe ich mir einen größeren Mann vorgestellt. Einen Hünen, womöglich eine groteske Figur, einen Beowulf-Riesen. Was nicht heißen soll, dass Ihre Erscheinung nicht imposant wäre, Mister Shook. Ganz im Gegenteil.«
Er wandte den Kopf und sah durch eine vergitterte Glastür auf die wuchtige Silhouette des Gefängnisschiffs hinaus, das im Licht der Nachmittagssonne über dem Fluss zu schweben schien. Dann griff er in die oberste Schublade seines Schreibtisches und entnahm ihr eine kleine goldene Schale. Sie hatte nur gut zehn Zentimeter Durchmesser und war bedeckt von einer durchscheinenden Kuppel, ebenfalls aus Gold gefertigt und mit Mastodon-Elfenbein verziert, in das ein Gerstenkornmuster geschnitzt war.
Zebulon hatte nie einen Gegenstand gesehen, der schöner und kunstvoller gearbeitet gewesen wäre.
Der Direktor begann, die Geschichte der Schale zu erzählen, und Bent sprach lautlos die Worte nach, die er im Lauf der Jahre auswendig gelernt hatte.
»Ein kostbares Objekt, finden Sie nicht auch, Mister Shook? Hellenistisch, drittes Jahrhundert. Reine Alchemie. Erstklassiges Material, ohne Anfang und Ende. Alle Unterschiede in eine runde Form gebracht, die keine Grenzen kennt. Ein Gefäß für die Götter! Ganz anders als der fürchterliche Plunder, der hierzulande ausgebuddelt wird. Ich interessiere mich nicht für das Karatgewicht eines Nuggets. Das ganze Unterfangen, vom Endresultat ganz zu schweigen, ist fluchbeladen. Vulgäres Beutegut für Ignoranten. Betrachten Sie diese Schönheit, Mister Shook. Eine Arbeit wie diese besitzt genug Eleganz, um die Natur in den Schatten zu stellen. Ihre Transzendenz besitzt die Macht, die Zeit anzuhalten, Verzückung heraufzubeschwören. Und das bringt mich wieder zu Ihnen, Mister Shook: Wenn Sie die Zeit anhalten möchten – und ich erkläre mit voller Überzeugung, dass es Ihnen zum Vorteil gereichen würde, dies zu tun –, dann müssen Sie sich unverbrüchlich dem Prozess der Erlösung verschreiben.«
Der Direktor stellte die Schale sorgsam an ihren Platz zurück. »Ihrer Reputation wegen hat man mir geraten, Sie in das Zuchthaus zu verlegen, das soeben in San Quentin – auf der anderen Seite der Bucht von San Francisco – errichtet wurde. Zum Glück für Sie konnte ich den Gouverneur überzeugen, dass wir durchaus in der Lage sind, Sie hier in Gewahrsam zu halten. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich Sie kurzerhand aufhängen lassen. Doch damit werden wir noch bis zu einem
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