Zebulon
Seiten.«
»Natürlich«, sagte Don Luis. »Vor nicht allzu langer Zeit … Wo war es noch? Madrid oder Mexiko? Venedig vielleicht. Einerlei. Eine andere Zeit, ein anderer Ort.«
Don Luis fröstelte und zog sein Gewand enger um seine Schultern, als plötzlich ein eisiger Hauch in den Raum wehte. »Lassen Sie mich hinzufügen, Teuerste, dass ich augenblicklich von Ihrem mutigen Auftreten fasziniert war, von der Art, wie Sie auf diesem Stuhl standen und Ihrem Schicksal unerschrocken ins Auge blickten. Ihre Entschlossenheit erinnerte mich an meine eigene Situation – warten … sinken … zur Abreise bereit … Es war mein letzter Besuch in Calabasas Springs. Ich werde mich nie wieder irgendwohin begeben, nicht einmal zur Messe; und ich denke auch nicht daran, irgendwo anders hinzugehen … In vergangener Zeit … bevor die wahnsinnigen
gringos
auftauchten … als mein Vater noch lebte … und sein Vater und dessen Vater vor ihm, hätten sie Ihren Grafen gerettet. Ohne Rücksicht darauf, ob er es verdiente, gehängt zu werden … Seinerzeit verstand man sich darauf, einem Gast gefällig zu sein. Selbst wenn es bedeutet hätte, alles für seinen Tod vorzubereiten, wäre es auf die richtige Art getan worden. Präzise. Mit einem gewissen Maß an Anmut und Würde. Ohne diesen nutzlosen Schwachsinn.«
Er sackte unter seinem Bisonfell zusammen, und der Kopf sank ihm auf die Brust. »Was ich Ihnen sagen wollte … Ich habe in der vergangenen Woche mit Ihrem Grafen gesprochen. Er hat mir viel von Ihnen erzählt, Dinge, deren Sie sich vielleicht nicht einmal selbst bewusst sind. Dinge, die, offen gesagt, verstörend waren.«
Niemand im Raum sagte etwas oder bewegte sich auch nur.
»Darf ich für Sie singen?«, fragte Delilah.
Eine geflüsterte Antwort kam von Don Luis’ Lippen:
»Por favor, Señora. Gracias.«
Sie setzte sich an das Klavichord und schloss die Augen. Langsam, mit zunehmender Leidenschaft, begann sie Tomás Luis de Victorias »Ave Maria« aus der Messe zu singen, die laut Don Luis’ Anweisung vom Morgen desselben Tages bei seiner Beerdigung gesungen werden sollte.
Während sie sang, füllte sich der Raum mit Bediensteten,
vaqueros
und
caballeros
, die sich um den alten Patriarchen scharten, der auf seiner Couch tief und fest eingeschlafen war.
Als das Lied zu Ende war, führte ein Diener sie für die Nacht nach oben.
Sie fanden sich in einem großen, überwölbten Raum wieder, der von einem übergroßen Bett beherrscht wurde. Seidene Morgenmäntel lagen für sie auf einer Ledercouch bereit, und auf einem runden Tisch mit brennenden Kerzen standen frisch zubereitete Speisen.
Zebulon zog sich um, legte sich in seinem Morgenmantel auf das Bett, sah zur Decke hinauf und rauchte einen von Don Luis’ mexikanischen Stumpen.
Nach einer Weile bemerkte er Delilah, die auf der anderen Seite des Zimmers stand. Sie war nackt, ihr Morgenmantel lag zu ihren Füßen.
Als sie langsam auf ihn zukam, hörten sie das Läuten einer Glocke vom Turm der Kirche und Rufe aus dem Garten, die Don Luis’ Tod verkündeten.
Sie ritten nach Calabasas Springs zurück und sahen, dass das Gefängnis niedergebrannt war. Drei tote Mexikaner lagen mitten auf der Straße, ein weiterer war auf ein Wagenrad gebunden worden, und zwei Männer schlugen ihn mit einer Pferdepeitsche auf Schultern und Rücken. Bis auf den von einem Ast einer Eiche hängenden Leichnam Ivans war der Platz verwaist.
Sie hatten noch nicht das Straßenende erreicht, als sie von bewaffneten Vigilanten umringt wurden.
»Don Luis ist tot«, teilte Zebulon ihnen mit.
»Gut für ihn«, lautete die Antwort. »Dann kannst du ihm gleich folgen.«
Während Zebulon zu Boden gerissen wurde, kam Hatchet Jack angeritten und griff nach den Zügeln von Delilahs Pferd, und die beiden galoppierten durch die Menge der verblüfften Goldsucher davon.
Das Letzte, was Zebulon von Delilah sah, war ihr langes schwarzes Haar, das hinter ihr her wehte, während sie und Hatchet Jack in die Nacht entschwanden.
Niemand machte sich die Mühe, die beiden zu verfolgen, denn es wäre sinnlos gewesen, Jagd auf eine Hure und ein Halbblut zu machen, auf deren Kopf keine Belohnung ausgesetzt war.
Z EBULON WURDE IN EINER kleinen Zelle im Keller des Gerichtsgebäudes von Sacramento gefangen gehalten, das auch einen gut gehenden Saloon beherbergte. Zum Verdruss der australischen Goldsucher, die ihn ausgeliefert hatten, betrug die Belohnung nur ein Viertel von dem, was in Aussicht gestellt
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