Zebulon

einen Finger durch ihn hätte durchstecken können.
    Sie drehten sich um, als der Direktor mit der Pistole im Anschlag auf sie zugestürmt kam. Bevor er abdrücken konnte, packte Lu Zebulon an der Hand und zog ihn mit sich in den Fluss.
    »Quién es?«
, fragte ihn eine innere Stimme.
    Wer war er, und wohin war er unterwegs? Und wer war da, um ihn zu retten? Er lag nicht in einem Straßengraben, das wenigstens wusste er. Und er ging nicht unter. Hilfesuchend streckte er die Hände aus.
    Lu war es, der ihn aus dem Fluss und in ein Ahornwäldchen zog, in dem Hatchet Jack mit drei Pferden wartete.
    Da sahen sie Bent, der an den Stamm einer Pappel gelehnt saß und mit dem Gewehr auf sie zielte.
    Bevor er abdrücken konnte, feuerte Hatchet Jack seine Pistole ab.
    »Na so was!« Bent schaute auf das Loch in seiner Schulter. »Ich bin ein toter Mann.«
    Er sah zu Zebulon auf. »Tu mir einen kleinen Gefallen, Zeb. Als Gegenleistung für die Drinks und die Zigaretten … Sag ihnen, du hättest mich im Zweikampf erschossen. Du gegen mich. Und nicht, dass dieses verdammte Halbblut, dieser gemeine Pferdedieb, mich im Sitzen abgeknallt hat … Dann komm ich wenigstens in einer Geschichte vor und vielleicht in dem einen oder anderen Lied.«
    Als sie am Flussufer entlangritten, kam Large Marge aus dem Fluss gewankt, ihre nassen Sachen hingen ihr in Fetzen vom massigen Körper, und ihr Haar war mit Schlamm verklebt.
    »Habt ihr noch Platz für eine mehr?«, fragte sie, schwang sich hinter Lu aufs Pferd und schlang die Arme um seinen Hals.
    Als sie beim Haus des Direktors anlangten, brannte der erste Stock lichterloh. Gefangene, dunkle Silhouetten vor den lodernden Flammen, rannten durch die Haustür ein und aus und warfen Einrichtungsgegenstände auf einen Karren und über Pferderücken. Andere stritten sich auf dem Rasen um Abigails Schmuck und die esoterischen Sammlerstücke des Direktors, darunter syrische Vasen, antike französische Uhren, deutsche Jagdgewehre, peruanischer und mexikanischer Schmuck und Dutzende englischer Taschenuhren in mit Samt ausgeschlagenen Kästchen.
    Auf dem Rasen probierte Hatchet Jack einen der Leinenanzüge des Direktors an, dann ein Londoner Hemd mit Stehkragen und eine spanische Lederweste mit Perlmuttknöpfen. Lu entschied sich für eine Seidenbluse und einen Knaben-Matrosenanzug, während Large Marge sich in eine Paradeuniform zwängte.
    Nachdem auch Zebulon in einen der cremefarbenen Leinenanzüge des Direktors geschlüpft war, drängte er sich an den anderen vorbei ins Haus.
    Das Büro des Direktors war voller Qualm, und die Flammen hatten schon auf Couch und Fußboden übergegriffen. Er riss die Schreibtischschubladen auf, bis er die kleine goldene Schale des Direktors, die Lakota-Sioux-Rassel und den fossilen Walrosspenis fand.
    Als er aus dem Haus taumelte, stolperte er über die untersten Treppenstufen. Über ihm kauerte Abigail, die Frau des Direktors, auf einer Fensterbank im ersten Stock und drückte ihren Sohn an sich. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke, doch dann sah sie zu dem Gefängnisschiff hinüber, wo der Direktor sich an die Brücke klammerte und einem sich nähernden Ruderboot entgegensah, das ihn retten sollte.
    »Springen Sie!«, rief Zebulon Abigail zu. »Ich fang Sie auf.«
    Sie nahm ihren Sohn und machte einen kleinen Schritt vorwärts, doch da brach der Fußboden ein, und die beiden verschwanden.

Z EBULON , H ATCHET J ACK und Large Marge galoppierten am South Fork des American River entlang, immer wieder auch im Wasser, um möglichst wenige Spuren zu hinterlassen. An einer seichten Stelle überquerten sie den Fluss und ritten auf der anderen Seite wieder zurück.
    Am späten Abend stießen sie in einem Zypressenhain auf eine verlassene Jagdhütte. Zu erschöpft, um zu reden, ließen sie sich drinnen einfach fallen, und in ihren seltsamen Kleidern sahen sie aus wie Mitglieder einer Wanderbühne oder entlaufene Insassen einer Irrenanstalt. Zur Isolierung waren Zeitungen an die Wände genagelt, mit Schlagzeilen über wichtige Ereignisse der Epoche: »Mexikanischer Krieg zu Ende«, »Zachary Taylor Präsident«, »Kalifornien 31. Staat«, »San Francisco brennt«, »Goldfunde in Sonoma!«, »Größter Goldfund aller Zeiten!!!!«, »Konföderierte Truppen erobern Independence, Missouri!«
    Hatchet Jack trat vor die Hütte und legte sich flach auf die Erde, um nach Pferden von Verfolgern zu horchen. Als er sich überzeugt hatte, dass ihnen niemand auf der Spur war, holte