ZECKENALARM IM KARPFENLAND
jedesmol, wenner den Ball ned drifft odder drieber haud, lachdder aa nu wie a Eichhernla wenns blidzd.“
„Na ja“, warf die Theresa ein, „wu kummdern aa scho her? Aus Boln und aus Köln! A bolnischer Breiß, kwasi. Dees kann ja nix wern!“
Die drei Fußballsachverständigen ließen sich – trotz des 1:0 für Italien – in ihrer Begeisterung nicht bremsen. Sie tröteten, trillerten und schwenkten die deutsche Fahne. Dann kam die sechsunddreißigste Minute, als sich das „Sauerkraut“, alias „italienische Nudelsorte“, einen von Riccardo Montolivio geschlagenen Pass erlief und das Leder knallhart linkerhand knapp unter die Latte einhämmerte. 2:0 für Italien! Die Nudelsorte war mächtig stolz über seinen zweiten Torerfolg. So stolz, dass er sein blaues Trikot auszog und den Zuschauern seinen nackten, muskulösen Oberkörper zeigte. „Ich war es“, wollte er damit sagen. „Ich habe die Deutschen aus dem Wettbewerb geschossen. Ich bin der Größte.“ Er stand da, wie ein wild glotzender Gorilla, der sich gleich auf die Brust trommeln würde. Das unterließ er dann doch, als der Schiedsrichter auf seiner Pfeife trällerte und ihm die gelbe Karte zeigte.
„Oh weh, des hul mer nemmer ei!“, klagte die Retta. „Scho widder su a Scheiß-Idaljenschbiel!“
„Schald mer hald den Fernseher aus?“, schlug die Theresa vor. „Hogg mer uns widder in die Kichn und beradn mer weider ieber die Essensauswahl vo eirer Geburdsdagsfeier. Unser Bier kemmer in der Kichn aa dringn.“
„Iech hab scho gor kan richdign Durschd mehr“, kommentierte die Kunni Theresas Vorschlag. „Mier is ganz schlechd.“ Die deutsche Fahne hatte sie in die Ecke hinters Sofa gestellt.
„Der schwarze Schbagheddi had mer mei ganze Schdimmung verdorbn“, lammentierte auch die Retta herum. „Gscheid sollns gecher Schbanien eigeh, die Iddagger!“ Dann schaltete sie das Fernsehgerät aus. „Kummd, gemmer widder in die Kichn, red mer a weng drieber was im Dorf Neis gibd. Iech hab gherd, der Müllers Hanna iehr Ingried soll schwanger sei.“
„Dees arme Kind“, hakte die Kunni ein, „dees werd doch ned gor vo dem Berser sei, mid dem der Hanna iehr Madla in der ledzdn Zeid rumzuugn is?“
„Dees kann scho sei“, merkte die Theresa an, „den habbi scho lang nemmer gsehgn. Der is beschdimmd nach Affganisdaan abghaud, wieer dees midgrichd had. Der had ja ausgschaud mid seim Zoddlbard. Vor dem hasd ja richdich Angsd grichd!“
„Vielleichd isser ja a Dalibaan“, gab auch die Retta noch ihren Senf dazu. „Waß mers?“ Das 2:1 der deutschen Nationalmannschaft bekamen die drei Witwen gar nicht mehr mit. Sie unterhielten sich über ledige Schwangere, die Seitensprünge des verheirateten Nachbarn gleich gegenüber, über die Bemühungen einiger Röttenbacher Bürger, im Dorf einen Ableger der Partei Freies Franken zu gründen, und darüber, wer sich nächstes Jahr als Kandidat für die Bürgermeisterwahl aufstellen lassen würde. „No der Ludwich, der Ludwich machd doch widder dees Renna“, gab sich die Kunni überzeugt. „Da beißd doch die Maus kann Fadn ab.“
Erlangen, Staatsstraße 2240, Sonntag, 1. Juli 2012
Kuno Seitz hatte sich mit seinem neuen Bekannten vom Bohlenplatz unter der Brücke, welche sich in Richtung des Ortsteils Dechsendorf über den Rhein-Main-Donau-Kanal spannte, für einundzwanzig Uhr verabredet. Während sich ganz Fußball-Deutschland das EM-Finale Spanien gegen Italien ansah, wollten die beiden ihr Gespräch vom Bohlenplatz fortsetzen.
„Du musst wissen, ich bin kirchlich engagiert“, hatte ihm Till Stemmann erklärt, „und ich möchte mich zukünftig gerne um die Obdachlosen dieser Stadt kümmern. Ich denke, ich kann ihnen helfen, wieder in die normale Gesellschaft zurückzufinden. Dazu muss und will ich aber verstehen, wie sie leben, was sie für Sorgen haben und welche Lösungen sich daraus für jeden Einzelnen anbieten. Du, zum Beispiel, hast Abitur und einen qualifizierten Berufsabschluss. Solche Leute werden heute gesucht. Die Wirtschaft boomt.“ So sprach er auf der Bank am Bohlenplatz. Zudem hatte er versprochen, ausreichend Getränke und Zigaretten mitzubringen. Kuno Seitz kam die unerwartete, neue Bekanntschaft gerade recht. Erstens hatte er die Brücke für diese Nacht sowieso als Schlafplatz auserkoren. Schwere Sommergewitter mit heftigen Regenschauern waren angesagt. Zweitens war er nicht allein und konnte mal wieder ein anregendes Gespräch führen, und drittens schließlich
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