Zehn (German Edition)
Bei seinem letzten Schluck Tee war er sich noch sicherer: Es war Zeit zu gehen.
Der alte Chinese nickte. Er verschwand, und als er zurückkam, hatte er ein kleines Säckchen dabei.
»Die Pille ist klein, aber sie wirkt sofort. Das musst du wissen.« Wieder verbeugten sie sich. Der Chinese nickte ihm zum Abschied zu. »Gute Reise, Masamori-san!«
Herr Ogawa wartete neben seinem Toyota. Er blickte ihn fragend an.
Während der Fahrt sprachen sie wenig. »Ich möchte, dass du die Katze nimmst«, sagte der alte Mann leise. »Und ich werde dir etwas für Akira, Tamiko und Tekka mitgeben.«
Herr Ogawa starrte auf die Wagen vor ihnen.
Schweigend fuhren sie zurück. Herr Masamori hatte das kleine Säckchen immer noch in seiner Faust. Alles würde gut werden.
Als er wenig später Herrn Ogawa das Bündel mit den Zôri und die Katze übergab, weinte dieser.
»Weine nicht. Wir kennen uns so lange. Ich danke dir für alles.« Ihre letzte Verbeugung wollte lange nicht enden. Irgendwann aber ging Ogawa-san. Tränen liefen über sein Gesicht, und er schloss eilig die Ladentür. Der Tag ging seinem Ende zu.
Der alte Mann zündete die Chôchin an. Dann packte er den Koffer und setzte sich aufs Bett. Bald würde er die Anwesenheit seiner Frau spüren. Und bald würde Andre kommen.
Es war heiß, und er war erschöpft. Er legte die Beine hoch und war bald eingenickt.
Als er Stunden später erwachte, war es dunkle Nacht. Die Laterne brannte noch und tauchte das kleine Zimmer in gedämpftes Licht.
Andre saß neben seinem Bett. Er lächelte ihm zu. Auch seine Frau war gekommen, das spürte er.
Er holte das Stück Tamagoyaki. Das kleine, viereckig geschnittene Omelett aß man zum Schluss. Es bedeutete das Ende eines Mahls, das Ende der Dinge.
Langsam aß er.
Dann holte er das Säckchen hervor. Andre blickte ihn sanft an. Der kleine Block lag neben ihm. »Florida. Orlando.« Herr Masamori nickte ihm zu.
Er spülte die Pille mit einem Glas Wasser herunter.
Dann schloss er die Augen und fiel zurück aufs Bett.
Das Leben endete hier. Die Reise begann.
KITAMAKURA
oder 49 Tage
Z um Glück saß sie am Fenster.
Ihr Vater hatte das Ticket so kurzfristig gebucht, dass sie bereits vier Stunden vor Abflug am Flughafen war, um nicht auf einem Mittelplatz sitzen zu müssen.
Die Businessclass war fast ausgebucht. Es wurden Nüsse und Wasser gereicht. Geistesabwesend fummelte sie die Socken aus der Plastikfolie. Von Los Angeles nach Narita Airport, Tokio, flog man etwa vierzehn Stunden.
Vierzehn elendig lange Stunden.
Ein Flug zurück in eine Welt, die sie vor acht Monaten sehr gerne verlassen hatte.
Acht Monate in Amerika. Naski war ganz und gar eingetaucht in diese neue, fremde Welt.
Sie war siebzehn, und nachdem sie ihren Vater zwei Jahre lang angebettelt hatte, durfte sie endlich zum Schüleraustausch nach Los Angeles.
Fast hatte sie nicht mehr daran geglaubt.
Shinzai, eine Cousine zweiten Grades ihres Vaters, lebte in Los Angeles, und sie hatte versprechen müssen, Shinzai und ihren Mann einmal im Monat zu besuchen. Naski glaubte, dass die Cousine der Grund war, warum er sie gehen ließ. Die Mutter hatte ihren Kimono und die Zôri eingepackt und jede Menge grünen Tee und Mochi. Im Gegensatz zum Vater war sie noch nie außerhalb von Japan gewesen. Nachdem eine Austauschorganisation gefunden war, gab es bald eine Gastfamilie. Der Vater hatte Wert darauf gelegt, dass die Gasteltern wohlhabend waren und Naski eine Privatschule besuchen konnte.
Sie hatte sich ganz still verhalten. Bis zu ihrem Abflug vor über einem halben Jahr hatte sie Sorge gehabt, dass der Vater es sich in letzter Minute anders überlegen würde. Aber nichts dergleichen passierte.
Irgendwann hatte sie sich mit einer tiefen Verbeugung von den Eltern verabschiedet und einen kleinen Luftsprung gemacht, sobald sie außer Sichtweite war.
Die große Freiheit.
Bereits im Flieger fiel Japan von ihr ab. Sie trank ein Glas Rotwein in der Businessclass und schlief entspannt ein.
Naski liebte Los Angeles, noch bevor sie überhaupt einen Fuß auf den Boden des für sie so fremden Landes gesetzt hatte. Alles dort war golden. Das kalifornische Licht verzauberte alles.
Palmen, Meer, Strand, Moviestars, Hollywood, Surfer und gebräunte Beine unter kurzen Röcken.
So, wie es ihr Vater gewollt hatte, kam es auch. Naski besuchte eine private Highschool in
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