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Zehn (German Edition)

Zehn (German Edition)

Titel: Zehn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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see you soon!«  
    Tom Bradley International Terminal. Dort hatte Teddy gewartet. Auch beim Check-in hatte er ihre Hand nicht losgelassen. Er hatte sie geküsst und zärtlich in ihr Haar gegriffen.  
    »You’ll be back soon«, hatte er geflüstert.  
    Naski trug das schlichte graue Kostüm. In genau diesem Kostüm war sie vor acht Monaten in Los Angeles angekommen. Jetzt passte es ihr fast nicht mehr.  
    Die Passagiere schoben sich durch den Mittelgang der Maschine. Matt ließ sie sich mittreiben. Der Platz neben ihr blieb frei.  
    Die Boeing hob schwerfällig ab. Naski blickte auf die Stadt hinunter. Jetzt wurden die Lichter immer kleiner, bald verschwanden sie hinter Nachtwolken, über denen noch das letzte Tageslicht als dünner orangeroter Streifen glühte.  
    Die Stewardessen brachten Getränke und Kopfhörer. Sie fühlte sich leer. Sie musste sich vorbereiten. Vorbereiten auf Japan. Auf die Rituale, Pflichten und die Stille. Wie ein Gebirge türmte sich der Gedanke vor ihr auf.  
    Sie dachte daran, dass der Großvater gestorben war, und schämte sich plötzlich. Sein Tod war bis jetzt nur der Grund für ihre Abreise gewesen. Was der Tod des Großvaters für sie bedeutete, war ihr bisher nicht in den Sinn gekommen. Traurigkeit überkam sie. Noch kurz vor ihrer Abreise nach Los Angeles hatte sie ihn zu einer Teezeremonie gesehen. Er hatte ihr eine gute Reise gewünscht. »Wenn du kannst«, hatte er gesagt, »flieg nach New York. Das ist eine beeindruckende Stadt!«  
    Sie stellte sich vor, wie es der Familie gehen musste. Der Großvater war an einem Herzinfarkt gestorben. Mit seinen zweiundsiebzig Jahren war er sehr beliebt und als Bankdirektor sehr umtriebig gewesen.  
    Es würde eine große Beerdigung werden.  
    Sie blickte sich um. Die meisten Passagiere waren Japaner. Sie hörte sie leise Japanisch sprechen. Einige trugen einen Mundschutz.  
    Sie stellte die Lehne des Sitzes so weit wie möglich nach hinten und starrte an die Decke. Es war kalt. Aircondition.  
    Naski zog die Schuhe aus und setzte die Schlafbrille auf. Aber schlafen konnte sie nicht. In Gedanken war sie bei Teddy. Er fehlte ihr so sehr, dass ihr Magen schmerzte. Für die nächste Woche würde er ihr Geheimnis sein. Niemand würde sie nach Amerika fragen. Es würde nicht viel gesprochen werden. Man trauerte. Und wenn sie in Tokio ankam, würde nicht viel Zeit sein. Die Beerdigung dauerte drei Tage. Eine Feuerbestattung, wie es üblich war. Die Familie würde nach buddhistischem Ritual für das Weiterleben des Toten in einer anderen Welt beten.  
    Der Großvater war schon jetzt im Haus aufgebahrt. Gewaschen, mit dem Kopf nach Norden, an seinem Kopfende Kerzen, eine Schale Reis mit zwei Essstäbchen, ein Glas Wasser und weiße Blumen. Sein Gesicht würde mit einem weißen Tuch bedeckt sein. Sie würden Weihrauchstäbchen verbrennen und ihm ein Messer auf den Kopf legen, zum Schutz vor bösen Geistern.  
    Naski erinnerte sich an die Beerdigung ihrer Großmutter. Das war acht Jahre her. Naski war ein Kind gewesen und hatte sich vor dem Messer gefürchtet. Der Gedanke, dass es im Jenseits böse Geister gab, vor denen man sich mit einem Messer verteidigen musste, war ihr unheimlich gewesen.  
    Es war still im Flieger. Irgendwann nickte sie doch ein. Sie schlief tief und traumlos. Ein plötzliches Rucken weckte sie. Es war immer noch dunkel über den Wolken. Das Anschnallzeichen leuchtete, und eine der Stewardessen war im Gang gefallen. Sie flogen durch ein Unwetter. Die Turbulenzen hielten an. Naski schnallte den Gurt enger. Flaschen und Becher rollten den Gang auf und ab. Sie war beunruhigt und versuchte ruhig zu atmen. Auch die meisten anderen Passagiere waren erwacht und schnallten sich besorgt an.  
    Dann das Luftloch. Die Maschine fiel. Abrupt. Alles, was sich zuvor sicher und fest angefühlt hatte, zerfiel für einige Sekunden zu Staub. Ihr Magen rutschte nach oben. Sie stieß einen spitzen Schrei aus. Hinter dem kleinen Fenster schwarzes Nichts. Angsterfülltes Kreischen. Tassen flogen, Flaschen klirrten, einige Gepäckfächer öffneten sich, und Taschen wurden in den Gang geschleudert.  
    Irgendwo zwischen ihren Träumen von Los Angeles und Japan würde sie im Nichts verschwinden. Bilder schossen ihr durch den Kopf: Teddys Lächeln, Jamie, die Muffins reichte, ihre Mutter im Kimono, der Vater, Tee trinkend, ihr Haus in Tokio, dampfende Misosuppe aus ihrer Lieblingsschale, der Duft von Ramen. Naski presste ihre Lider

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