Zehn (German Edition)
an. Akira mied seinen Blick: »Du … musst ja im Laden bleiben. Wir werden eine ganze Woche weg sein und Tekka mitnehmen.«
Herr Masamori fühlte sich matt. Die Hitze war zurück. Er verbeugte sich. »So sei es. Ich wünsche euch noch einen guten Tag.«
Er schloss die Tür hinter ihnen ab.
O-bon würde er allein verbringen. Der Gedanke machte ihn müde. Vielleicht würde ihm Herr Ogawa mit seiner Frau Gesellschaft leisten.
Oder Andre-san. Sogleich wurde ihm etwas leichter ums Herz. Der Riese saß neben seinem Bett, als er eintrat. Es war gerade genug Platz, dass er sich hinhocken konnte. Seine wuchtigen Knie berührten die Bettkante. Zum ersten Mal sah ihm Herr Masamori von Nahem ins Gesicht.
Andres braune Augen schauten ihn durchdringend an. Er hob die Bettdecke an, so dass der alte Mann nur darunter schlüpfen musste. Dann deckte er ihn sanft zu. Herr Masamori ergriff zaghaft seine riesigen Finger und ließ seine schmale Hand in Andres riesige Hand gleiten und drückte sie leicht.
Er schlief unruhig und fror. Immer wieder erwachte er von seinem eigenen Husten.
Herr Ogawa kam am nächsten Tag überpünktlich. Der Arzttermin war um zwölf Uhr in Ginza. Herr Masamoris eigener Hausarzt war vor einigen Jahren gestorben, und so hatte Herr Ogawa einen Termin bei Dr. Kim gemacht.
Sie sprachen wenig auf der Autofahrt, Herr Masamori nickte immer wieder ein, und Herr Ogawa war besorgt.
Der Arzt war sehr jung. Ein Chinese. Er trug Hemd und Krawatte unter seinem makellos weißen Kittel und einen glänzenden Ehering. Dr. Kim stellte viele Fragen, bevor er Herrn Masamoris Lymphknoten abtastete. Nach der Untersuchung bat er Herrn Ogawa hinzu. Der Doktor klang ernst.
»Sie müssen noch heute ins Krankenhaus und ein paar Tests machen lassen. Ich möchte im Moment keine Diagnose stellen, es müssen Bluttests gemacht werden. Ich schreibe Ihnen einen Schein für den behandelnden Arzt.«
Alle verbeugten sich. Der alte Mann hatte Angst.
Es war dasselbe Krankenhaus, in dem Frau Masamori gestorben war. Seit drei Jahren hatte er keinen Fuß mehr in ein Krankenhaus gesetzt. Der Geruch von Putzmitteln, die weißen Gänge und Menschen in steifen Kitteln, all das beunruhigte ihn zutiefst.
Herr Ogawa hatte ihn untergehakt und blieb im Raum, als die Schwester Blut abnahm. Sie trug grüne Plastikhandschuhe und einen Mundschutz. Fast lautlos setzte sie die lange Nadel auf die Kanüle. Als sich die Kanüle mit tiefrotem Blut füllte, sah er weg.
Dann wurde er geröntgt. Es war unendlich still. Da war nur die große, kalte Maschine im Raum, die so gefährlich war, dass die Schwester den Raum verließ. Die Wände waren schmucklos, es gab keine Fenster, ein seltsam einsamer Raum. Seine Frau hatte genau diese trostlosen Wände gesehen, bevor sie starb. Traurigkeit schnürte ihm den Hals zu. Wie ängstlich musste sie gewesen sein. Und wo war er gewesen?
Die Bleiweste machte das Atmen schwer, und er fror auf der kalten Metallliege. Gerade als er das Gefühl hatte, aufspringen zu müssen, ergriff Andre seine Hand. Der Riese hatte ihn gefunden. Seine warme Hand strich leicht über Herrn Masamoris Arm. Erleichtert schloss Herr Masamori die Augen.
Andre folgte ihm anschließend auch in das Untersuchungszimmer. Lautlos hockte er sich neben den schweren Schreibtisch des Arztes. Niemand hatte ihn bemerkt. Der Arzt, Dr. Okura, war etwa so alt wie Akira. Er sprach angenehm leise, und Herr Masamori versuchte, alles zu verstehen, was er sagte. Dr. Okura stellte viele Fragen. Seit wann er keinen Appetit mehr habe, wie er schlafe, ob er neuerdings viel husten müsse.
Die Ergebnisse des Bluttests würden am nächsten Tag kommen, dann könne er mit Sicherheit eine Diagnose erstellen. Zum Abschied verbeugten sich alle, und Herr Masamori bemerkte, dass Andre verschwunden war.
Herr Ogawa bestand darauf, den alten Mann zum Essen einzuladen.
Noch vor Einbruch der Dunkelheit aßen sie Udon in Golden Gai. Sie mussten einige Minuten zu dem kleinen Lokal mit den blauen »Kirin«-Fahnen laufen. Ein leichter Wind war aufgekommen. Viele Menschen drängten sich in den kleinen Gassen. Frauen mit Plastiktüten, aus denen Lauch herausragte, Mädchen mit kurzen Röcken und Lollis im Mund, Geschäftsmänner im Anzug mit Köfferchen und gelockerter Krawatte. Ein Bettelmönch stand still an der Ecke, Katzen streunten umher, eine Gruppe betrunkener Touristen stolperte lachend in eine der unzähligen Bars. Wie
Weitere Kostenlose Bücher