Zehn Milliarden (German Edition)
da hast du recht.«
»Du stehst wohl immer noch auf Kriegsfuss mit deiner Wissenschaft, nicht wahr?«, fragte Nick zögernd. Sein Freund schüttelte langsam den Kopf.
»Nein, die Phase habe ich glücklicherweise hinter mir. Ich habe die Grenzen unserer Macht schmerzhaft erfahren müssen und mich damit abgefunden. Hin und wieder kocht trotzdem die Wut über das eigene Unvermögen in mir hoch, aber die Anfälle werden seltener.« Nachdenklich blickte er durch seinen Besucher hindurch, dann fügte er schmunzelnd hinzu: »Hängt wohl mit der Länge meines Barts zusammen.«
»Beim Barte des Proleten«, lachte Nick. »Das war jeweils dein Kommentar zu Leuten, die ihren Mangel an Weisheit mit eindrucksvollen Bärten zu kompensieren versuchten.«
»Gilt nach wie vor. Aber wenn wir schon von Weisheit sprechen. Willst du nicht endlich mit dem wahren Grund deines Besuchs herausrücken?« Endlich , dachte Nick erleichtert.
»Das ist eine längere Geschichte«, begann er vorsichtig und schilderte Vic das Ziel, den Verlauf und den aktuellen Stand des Projekts ND5. Obwohl sein Freund sich seit zwei Jahren aus der aktiven Forschungsarbeit zurückgezogen hatte, fand er in ihm den gleichen kompetenten und scharfsinnigen Gesprächspartner, den er von früher kannte. Zu seiner großen Freude schien er die akademische Diskussion richtiggehend zu genießen. Er sog die Information auf, als wäre sein Geist vollständig ausgetrocknet. Noch spät in der Nacht saßen sie lebhaft debattierend auf der Terrasse, bis Nick vor Müdigkeit die Augen zufielen. Er war seit über dreißig Stunden wach und wollte sich nur noch hinlegen. Während er schnarchend seinem zweiten Tag in der Südsee entgegen schlief, arbeitete sich Vic konzentriert durch die Dokumente, machte Notizen, fertigte Skizzen an, bis er eine Strategie für eine mögliche Lösung von Nicks Problem gefunden hatte. Im Morgengrauen legte auch er sich endlich schlafen.
Als Nick erwachte, prasselte ein heftiger tropischer Regen auf das Dach des Baumhauses. Verschlafen und ein wenig verkatert schaute er sich um. Er schien allein zu sein. Ein Blick aufs aufgewühlte Wasser der Bucht bestätigte, dass sein Freund ausgeflogen war. Er braute sich einen Kaffee und setzte sich an den Tisch, auf dem sich die Papiere stapelten, die Vic gestern Abend studiert hatte. Zuoberst lag eine Nachricht, die für ihn bestimmt war:
Fliege kurzen Einsatz. Bin am Nachmittag zurück. Müssen Idee besprechen!
Vic
Er schaute auf die Uhr. Es war beinahe zwölf. Plötzlich hörte der Regen auf, als hätte jemand den Wasserhahn zugedreht. Sofort brach die Sonne durch die Wolken und ließ die Bucht wieder in gewohntem Glanz erstrahlen. Lustlos rief er die letzten Mails auf seinem Handy ab und quälte sich durch die meist irrelevante Datenflut. Einzig Julies Reaktion auf seine Meldung, dass er Vic gefunden hatte, beantwortete er kurz. Er wartete ungeduldig auf das Motorengeräusch der Emily 2, denn er wusste, dass sein Freund nur von einer Idee sprach, wenn er schon sehr konkrete Vorstellungen hatte. Endlich tauchte das Flugzeug am Horizont auf und wasserte nach einer eleganten Schleife.
»Du hast eine Idee?«, begrüßte er Vic, als er die Treppe heraufkam.
»Danke, ich habe auch gut geschlafen.«
»Entschuldige, aber ich werde noch wahnsinnig, wenn du mich länger auf die Folter spannst.«
»Das Risiko möchte ich nicht eingehen. Gib mir mal die Machete dort.« Er deutete auf ein furchterregendes Küchenmesser in Nicks Nähe. »Ich habe eine schöne Melone mitgebracht, wie du siehst.« Sie setzten sich draußen mit ihren roten Schnitzen ans immer noch tropfende Geländer und Vic berichtete, was er entdeckt hatte.
»Kurz gesagt, geht es bei eurem Problem doch darum, bestimmte Hirnregionen zuverlässig zu identifizieren. In einer meiner letzten Arbeiten, die du auch ausgegraben hast, wie ich bemerkte, habe ich nachgewiesen, dass Neurotransmitter und Proteinstrukturen ganz spezifisch an bestimmte Nervenzellen oder Neuronen gebunden sind. Wenn es also gelingt, diese Strukturen abzugreifen, ähnlich wie es die weißen Blutkörperchen tun, die T-Leukozyten, um genau zu sein, um bösartige und gutartige Zellen zu unterscheiden, habt ihr eure zuverlässige und detaillierte Adressierung von Hirnregionen.« Er ließ seinem Zuhörer Zeit, diese Mitteilung zu verdauen. Nick war kein Mediziner, doch er begriff schnell. Es war ihm klar, dass dies im Prinzip sein Problem lösen könnte, doch was er noch
Weitere Kostenlose Bücher