Zehn Milliarden (German Edition)
unschlüssig erhob er sich und trat näher an die Hütte heran. Er klopfte an die Tür und rief er auf Französisch: »Hallo, jemand zu Hause?«, doch nichts geschah. Langsam ging er um die Hütte herum. Auf der Rückseite summte leise ein Generator. Durch eines der Fenster spähte er ins Innere, doch außer ein paar Gestellen mit Kanistern und Werkzeug konnte er nichts erkennen.
»Sie stehen auf meinem Ofen«, rief eine bekannte Stimme von oben herab. Erschrocken und zugleich erleichtert blickte er hinauf und bemerkte das Baumhaus erst jetzt. Wäre nicht die charakteristische Stimme gewesen, Nick hätte seinen Freund kaum wieder erkannt. Statt des glattrasierten, elegant gekleideten, fast geschniegelten Bleichgesichts beugte sich ein braungebrannter, bärtiger Abenteurer in Shorts und buntem Hemd über das Geländer seiner Terrasse in luftiger Höhe.
»Entschuldige, Vic, ich habe keinen Ofen gesehen.« Der Bärtige stutzte.
»Nick?«
»Ja. Ich dachte, ich bringe dir die e-Mail mal persönlich vorbei.« Nick fiel ein Stein vom Herzen, als er sah, wie sich das Gesicht seines Freundes zu einem Grinsen verzog. In wenigen Sprüngen war er bei ihm, umarmte ihn kräftig und zog ihn etwas zur Seite.
»Ahnungslos wie eh und je«, lachte er. Was hier aussieht wie eine unbenutzte Feuerstelle ist ein Ahima’a, mein Backofen.« Er betrachtete seinen unerwarteten Besucher eingehend, dann brummte er anerkennend: »Du hast mich also gefunden. Hast dich gut gehalten, wie ich sehe. Deine neue Freundin scheint Wunder zu wirken.«
»Sie ist ein Wunder, das kannst du mir glauben«, antwortete Nick lächelnd. »Du scheinst nicht sehr überrascht, dass ich plötzlich hier aufkreuze.« Vic zuckte die Achseln und meinte nur:
»War wohl nur eine Frage der Zeit, bis du den Brief finden würdest.«
»Er war offen, sonst hätte ich nicht ...«, entschuldigte sich Nick, doch sein Freund unterbrach ihn.
»Kein Problem, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Wahrscheinlich wollte ich sogar, dass ihn jemand liest.« Er zögerte, bevor er leise fragte: »Weiß sie ...?«
»Nein. Emily weiß nichts vom Brief, und sie weiß nicht, dass ich hier bin.«
»Gut.« Vic war erleichtert. Er bedeutete seinem Freund, ihm zu folgen und stieg die steile Treppe zum Baumhaus hinauf. »Wir haben noch reichlich Zeit für ein Bier und gepflegte Konversation bis das Essen gar ist.« Der Anblick der geradezu luxuriösen Wohnung in der Baumkrone verblüffte Nick im ersten Moment, doch andererseits war dieser Lebensstil genau das, was man vom Aristokraten Vic erwarten musste. Tausend Fragen lagen ihm auf der Zunge, und seinem Freund schien es nicht anders zu ergehen. Zwei Stunden und mehrere Hinanos später hatten sie noch immer nicht über den eigentlichen Grund seines Besuchs gesprochen. Er zwang sich, die Sache langsam anzugehen, auch wenn es ihm schwer fiel.
»Ich denke, das Essen sollte jetzt gar sein«, sagte Vic und erhob sich. »Du kannst mir helfen, den Vogel auszugraben.« Verwundert verfolgte er, wie sein Freund eine Schicht Erde von der vermeintlichen Feuerstelle abtrug und begann, die säuberlich aufgeschichteten schwarzen Steine aus dem Loch zu entfernen. »Vorsicht, sie sind zum Teil noch heiß!«, warnte ihn Vic, als er selbst Hand anlegte. Unter den Steinen kamen mehrere in Bananenblätter eingewickelte Päckchen zum Vorschein. »Voilà, unser Diner«, brummte Vic befriedigt. »Riecht doch gut, was?« Nick roch zwar vorwiegend verkohltes Holz, doch biss er sich auf die Zunge und nickte begeistert. Sie hoben die dampfenden Bündel, die mehrere Stunden lang zwischen heißen Steinen im eigenen Saft geschmort hatten, vorsichtig aus dem Erdloch und trugen sie ins Haus. »Scharfes Hähnchen mit Süßkartoffeln. Ich hoffe, du hast inzwischen keine Capsaicin-Allergie entwickelt.«
»Ich liebe Chili«, antwortete Nick wahrheitsgemäß. Entgegen seinen schlimmen Befürchtungen schmeckte das Essen aus dem primitiven Ofen äußerst delikat. Das saftige Fleisch schien das feine Aroma unbekannter Kräuter während der langen Garzeit richtiggehend aufgesogen zu haben. Vic beobachtete grinsend, wie er sich genüsslich die Finger leckte.
»Ein altes Geheimrezept. Freunde auf einem der Motus in der großen Lagune haben mich in die traditionelle Kochkunst eingeweiht.«
»Dir scheint es ja an nichts zu fehlen.« Der gekränkte Blick, mit dem Vic ihn bedachte, sprach allerdings eine andere Sprache. »Entschuldige ...«
»Schon gut. Darben muss ich nicht,
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