Zehn Milliarden (German Edition)
früher die Mädchen verprügelt haben?« Er warf Ann einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Ein einziges Mal, und sie war viel älter als ich.« Lachend folgten sie Ann ins Wohnzimmer. Die alte Standuhr schlug zwölf, und würziger Bratengeruch erfüllte das Haus. »Wo ist eigentlich Peter?«
»Hat schon längst das Zeitliche gesegnet«, rief Ann aus der Küche.
»Ihr Kater«, erklärte er lächelnd, als er Julies fragenden Blick bemerkte. Sie war fasziniert von dieser Frau, wollte mehr über sie wissen. Während des Essens versuchte sie, Ann vorsichtig auszuhorchen, doch die roch den Braten sofort.
»Hat dir Nick also tatsächlich nichts über mich erzählt«, sagte sie kopfschüttelnd. »Eigentlich bin ich Krankenschwester, aber seit mir mein Dad das Fliegen beigebracht hat, bin ich lieber in der Luft.«
»Ihr Vater war Kampfpilot bei der Air Force«, ergänzte Nick.
»Ja, und ich fliege Kampfeinsätze über den Weingütern. Früher lief das Geschäft sehr gut. Die Winzer hatten eine Heidenangst vor den kleinen Zikaden, die den ›Pierces Desease‹ in ihren Rebbergen verbreiteten. Ganze Landstriche vertrockneter Pflanzen sorgten für volle Auftragsbücher. Die konnten nicht genug Sprühflugzeuge einsetzen, aber seit ein paar Jahren setzt man auf biologische Schädlingsbekämpfung.«
»Gut«, entfuhr es Julie. »Ich meine - das ist sanfter - weniger Gift ...« Anns stechender Blick unterbrach sie sofort.
»Klar, und wegen diesen verfluchten Grünen rostet meine Kiste auf dem County Airport vor sich hin.« Nachdenklich blickte sie Julie an, die sich am liebsten die Zunge abgebissen hätte. Schließlich machte sich so etwas wie ein Lächeln auf Anns Gesicht breit. »Aber du hast ja recht, meine Liebe. Wir haben früher wohl schon etwas übertrieben mit der Giftspritzerei. Allerdings hat die Rosskur unseren Wein gerettet.« Sie hob ihr Glas und prostete ihren Besuchern zu: »Auf die miesen alten Zeiten und euer junges Glück!«
Julie half Ann beim Abräumen und in der Küche; Gelegenheit für Nick, sich allein mit seinen Gedanken auf die Veranda zurückzuziehen. Er war der Lösung seines Problems noch keinen Schritt näher. Die kurze Auszeit zeigte noch keine Wirkung. Sie mussten eine zuverlässige Möglichkeit finden, wie sich die Nanobots im Blutkreislauf orientieren und wie sie ihr Ziel finden konnten. Auch nach der Lektüre unzähliger Fachartikel hatten er und sein Team erst eine vage Vorstellung, wie sie die Unterschiede einzelner Zelltypen und Gewebearten gewissermaßen als eindeutige Adressen für die Bots verwenden könnten. Es klingelte an der Haustür, und er schreckte aus seinen Gedanken auf. Bald darauf kehrte Ann mit einem alten Bekannten ins Wohnzimmer zurück. Der etwas kurz geratene ältere Herr mit dem grauen Schnurrbart im fröhlichen roten Gesicht kam schnurstracks auf ihn zu und begrüßte ihn freudig.
»Der kleine Nick. Groß bist du geworden, man erkennt dich fast nicht mehr.«
»Onkel Jim. Immer noch der Gleiche«, lachte Nick. Jim Canning war nicht wirklich sein Onkel, sondern einer von Anns Nachbarn, und ihr alter Vertrauter, ein oft und gern gesehener Gast in ihrem Haus. Und er war ein leidenschaftlicher Spieler, deshalb fragte Nick scherzhaft: »Wieder mal Lust, beim Pokern zu verlieren?«
»Von dir wird nichts mehr übrig sein, wenn ich mit dir fertig bin, wirst schon sehen.«
Nick sollte sich wundern, wie bald Jims lockere Prophezeiung in Erfüllung ging. Kurz nachdem Ann zum Spaß die Karten ausgeteilt hatte, passten sie und Julie und überließen die Partie den Profis. Jim wusste, dass Nick schon als Teenager kaum zu schlagen war. Er hatte ein phänomenales Zahlengedächtnis und konnte Gewinn- oder Verlustchancen blitzschnell im Kopf ermitteln. Überdies war er ein guter Beobachter, dem auch die geringste unbewusste Regung seiner Gegner nicht verborgen blieb. Umso unfassbarer war es für ihn, dass der gefürchtete Nick eine Runde nach der anderen verlor.
»Was zum Teufel ist denn los mit dir?«, brummte er und legte die Karten zur Seite. »Du machst doch sonst nie solche Fehler.«
»Ist wohl nicht mein Tag. Ich brauche frische Luft, entschuldige.« Nick erhob sich und ging zur Gartentür. Julie, die ihn genau beobachtet hatte, folgte ihm. Ihr war klar, dass er mit seinen Gedanken immer noch bei der Arbeit war. Sie schmiegte sich an seinen Rücken, legte die Arme um ihn und fragte zögernd:
»Noch keine Lösung in Sicht, nicht wahr?« Er drehte sich um und küsste sie sanft
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