Zehn Milliarden (German Edition)
Sie?«, fragte er zögernd.
»Nicht direkt. Sie ist Freelancer, arbeitet auf eigene Rechnung, aber wir führen sie in unserem Angebot und sie bezahlt uns eine bescheidene Vermittlungsgebühr. Ihre Schwester ist eine wunderbare Werbeträgerin für uns.« Er traute seinen Ohren nicht.
»Angebot?«, fragte er bestürzt. Roos blickte ihn überrascht an.
»Hat sie Ihnen denn nicht ...«
»Offenbar weiß ich gar nichts. Ich habe angenommen, sie arbeite als Übersetzerin, das ist zumindest ihr Beruf.«
»Übersetzerin«, wiederholte sie nachdenklich. »So könnte man es auch nennen.« Unvermittelt legte sie ihre Hand auf seine und sagte in beruhigendem Ton, als müsste sie ein verzweifeltes Kind trösten: »Es tut mir leid, Nick, dass sie es auf diese Weise erfahren. Aber die Sache ist nicht halb so wild, wie es ihnen jetzt erscheinen mag. Hören Sie mir einfach zu.« Und sie erzählte ihm, wie seine Schwester arbeitete. Sie ließ nichts aus, auch nicht die schreckliche Geschichte ihrer Freundin Nina.
»Und dieser Dicke ist noch immer auf freiem Fuß?« Sie nickte.
»Es ist ein Skandal, ja.«
»Könnte er ...?« Wieder nickte sie traurig.
»Genau das fürchte ich. Wenn Emily nicht aus freien Stücken untergetaucht ist - und da spricht die Handtasche klar dagegen - steckt mit großer Wahrscheinlichkeit dieser Hansje dahinter.«
»Und wo finde ich dieses Schwein?« Ihr Bericht hatte ihn äußerst erzürnt, er war stinksauer. Hätte der Kerl in diesem Augenblick vor ihm gestanden, er wäre mit bloßen Händen auf ihn losgegangen.
»Wir sollten die Polizei einschalten«, entgegnete sie ruhig.
»Ja, ich werde mich darum kümmern, aber ich werde trotzdem weitersuchen, sonst drehe ich durch.«
»Sie halten mich auf dem Laufenden, ja?« Roos gab ihm eine Karte mit ihrer Handynummer und stand auf. »Nick, Sie können mich jederzeit über diese Nummer erreichen, und - seien Sie vorsichtig.«
Er blieb einige Minuten sitzen, ließ sich alles nochmals durch den Kopf gehen, was er von Roos gehört hatte. Die Nachricht über Emilys Job schockierte ihn weniger als sie ihn zusätzlich beunruhigte. Auch wenn seine Schwester nur als keusche Geisha arbeitete, so bewegte sie sich doch gefährlich in der Grauzone zum Sexgewerbe, das er nur als brutales Geschäft aus Nachrichten und Filmen kannte. Er wusste zwar jetzt viel mehr, doch es half ihm nicht weiter, der dünne rote Faden war wieder zerrissen. Wenn er nüchtern überlegte, blieb nur der Gang zur Polizei in der vagen Hoffnung, sie würde das Verschwinden eines Escortgirls auch genügend ernst nehmen. Ninas tragisches Schicksal ließ ihn nicht mehr los. Immer wieder stellte er sich den geschundenen Körper seiner Schwester in dieser Badewanne vor, und plötzlich wusste er, was zu tun war. Er musste in dieses Haus im Rotlichtviertel, mit Ninas Kolleginnen sprechen. Irgendein Hinweis aus dem Milieu würde ihn weiter bringen. Als er zehn Minuten später in die Gasse mit den hell erleuchteten Schaufenstern trat, erschien ihm sein Vorhaben nicht mehr ganz so einfach. Es blieb nichts anderes übrig, als wahllos eine der Damen mit zurückgezogenen Vorhängen aufzusuchen. Der erste Versuch misslang gründlich. Die Frau warf ihn sogleich wieder auf die Straße, bevor er die erste Frage stellen konnte. Unter den argwöhnischen Blicken der Aufpasser versuchte er es ein zweites Mal bei einer etwas älteren Dame.
»Hören Sie, ich suche meine Schwester, ich habe nur ein paar Fragen«, sagte er hastig, während sie die Vorhänge zuzog. Sie schaute ihm einige Sekunden prüfend in die Augen und beschloss offenbar, dass ihm zu trauen war.
»50 Euros, fünfzehn Minuten«, sagte sie geschäftsmäßig, und er bezahlte wortlos.
»Kannten Sie Nina?« Sie nickte.
»Ein gewisser Hansje soll sie auf dem Gewissen haben. Kennen Sie den auch?« Wieder nickte sie nachdenklich, und ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich. Um sie zum Reden zu bringen, schilderte er ihr in drastischen Worten, was in der Wohnung seiner Schwester geschehen war, Einzelheiten, die sie nicht aus der Presse erfahren haben konnte. »Darum fürchte ich, dass sie nun in der Gewalt dieses Hansje ist. Haben Sie eine Ahnung, wo ich ihn finden könnte? Die Polizei tappt offenbar im Dunkeln.«
»Die Polizei«, lachte sie abschätzig. Die haben auch Nina nicht geholfen.« Sie überlegte, schüttelte dann bedauernd den Kopf. »Ich weiß leider auch nicht, wo sich der Dicke versteckt. Er taucht ab und zu hier auf, aber nicht
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