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Zehn Milliarden (German Edition)

Zehn Milliarden (German Edition)

Titel: Zehn Milliarden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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wieder einer Pistole mit tödlicher Sicherheit Kopfschmerztabletten mit sich herum; das hatte er bereits von Julie gelernt. Nach zwei Pillen und einer ausgedehnten heißen Dusche fühlte er langsam wieder Leben in sich. Beim Frühstück studierte er den Stadtplan. Das Wohnboot musste eines der ersten in der Nieuwe Herengracht sein, ganz in der Nähe des Waterlooplein, zwei Stationen mit der Metro. Er packte seine paar Habseligkeiten in den Rucksack, checkte aus und machte sich auf den Weg. Es war sein letzter Versuch, Emily zu finden, bevor er die Polizei einschalten wollte.
    Langsam schritt er unter den Bäumen der Allee der Gracht entlang, beobachtete aufmerksam die angedockten Schiffe. Hier lagen mindestens ein Dutzend Wohnboote vor Anker, und keines war in irgendeiner Form angeschrieben. Seine Anspannung wuchs mit jedem Schritt. Er wusste, dass das gesuchte Ziel hier vor seinen Augen lag, und doch konnte er es nicht sehen. Am späten Vormittag schien hier nicht viel los zu sein, keine Menschenseele war auf den Booten zu sehen. Erst als er den Kanalabschnitt nochmals abschritt, beobachtete er, wie eine alte Frau ans Ufer stieg.
    »Entschuldigen Sie bitte, ich suche die Nummer 117.« Die Frau verstand ihn nicht und trat näher. Er wiederholte die Frage, doch erst als er ihr die Adresse auf dem Bierdeckel zeigte, verstand sie.
    »Gesindel - kennt jeder hier«, schimpfte sie in gebrochenem Englisch. Sie zeigte auf ein betagtes, langgestrecktes Boot am ersten Holzsteg. Im Lauf der mühsamen Unterhaltung erfuhr er, dass die Bewohner von Nummer 117 den Nachbarn seit langem auf die Nerven gingen mit ihren schrillen Nutten und lauten Parties, die manchmal bis in die frühen Morgenstunden dauerten. Seit ein paar Tagen allerdings herrschte Ruhe.
    »Hoffentlich sitzt der Dicke endlich im Knast, so einer hat doch Dreck am Stecken. Was wollen Sie denn von dieser Bagage, junger Mann?«
    »Mit dem Dicken reden«, antwortete er ausweichend. Was die Frau ihm erzählt hatte, passte gut ins Bild, das er sich von Hansje machte. Als er sich dem Steg näherte, schlug sein Herz bis zum Hals. Er kämpfte gegen aufsteigende Übelkeit, wenn er sich vorstellte, was hier in den letzten Tagen geschehen sein mochte, was er hier finden würde. Jetzt, da sein Ziel buchstäblich in Reichweite vor ihm lag, begann er allmählich zu verstehen, worauf er sich eingelassen hatte. Auch Emilys geladene Pistole in seiner Tasche änderte nichts mehr an seinen weichen Knien, doch er musste jetzt da durch. Die von roten Pseudoziegeln bedeckten Aufbauten des Wohnboots erinnerten ihn an eine Landkneipe mit angebauter Bowlingbahn. Das ganze Schiff schien zu schlafen. Dichte, vergilbte Vorhänge und verwitterte Holzläden versperrten die Fenster. Alles blieb ruhig, nur das Knarren der Planken unter seinen Füssen und das anhaltende Rauschen des Verkehrs waren zu hören. Er klopfte an die Tür. Keine Reaktion. Er klopfte lauter, rief und polterte schließlich an einen Fensterladen. Niemand zu Hause. Das war’s dann wohl , dachte er entmutigt. Noch einmal umrundete er das Boot, soweit dies möglich war, spähte angestrengt durch jede Ritze, presste sein Gesicht an jede Scheibe, um doch noch durch einen der Vorhänge einen Blick ins Innere zu erhaschen. Ohne Erfolg, das Boot wollte sein Geheimnis nicht preisgeben. In seiner Verzweiflung rief er Emilys Namen laut und rüttelte an der Tür. Er wollte nicht glauben, dass er jetzt einfach aufgeben musste, ging nochmals von Fenster zu Fenster und presste das Ohr ans Glas, um wenigstens etwas zu hören, wenn er schon nichts sehen konnte. Plötzlich fuhr er zusammen: ein Geräusch. Er horchte noch angestrengter. Da war es wieder, diesmal hörte er es deutlich. Ohne Zweifel, im Boot hatte jemand gestöhnt.
    »Emily!«, schrie er und hämmerte mit den Fäusten an die Scheibe. Er versuchte sie aufzudrücken, doch sie gab nicht nach, obwohl sie nur lose im Rahmen zu hängen schien. In seiner Aufregung dauerte es eine ganze Weile, bis er begriff, dass er ein Schiebefenster vor sich hatte. Sein Rütteln hatte offenbar den Bolzen gelöst, die Scheibe ließ sich ohne Anstrengung nach oben drücken. Ohne zu zögern kroch er durch die schmale Fensteröffnung ins Innere. Seine Augen mussten sich erst ans Halbdunkel gewöhnen. Halb blind stolperte er durch das Schiff, rief immer wieder Emilys Namen. Er befand sich in einer Art Wohnküche und wieder hörte er leises Stöhnen und Ächzen, als wälzte sich jemand in schlimmsten

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