Zehn Milliarden (German Edition)
Bungalow am Strand.
»Nicht ganz so romantisch wie meine Hütte, aber ich denke, hier lässt sich’s leben«, spottete Vic, als sie das niedliche Häuschen mit dem polynesischen Giebeldach betraten. »Lasst einfach keine Esswaren herumliegen, sonst bekommt ihr ziemlich schnell ungebetenen Besuch von hungrigen Ameisen und Kakerlaken.« Obwohl ihm viele Fragen auf der Zunge brannten, ließ er die müden Reisenden bald allein, nicht ohne Nick beim Gehen noch ins Ohr zu zischen: »Unverschämter Glückspilz!« Als Julie vom Bad ins kleine Wohnzimmer zurückkehrte, lag Nick schon schnarchend auf der Couch.
Ein leises Brummen mischte sich ins Gezwitscher der schwarzen Stare und kleinen blauen Schwalben, als sie in der Morgensonne auf der Veranda des Bungalows die Ananas fürs Frühstück zerteilte. Über dem glitzernden Wasser der stillen Bucht erschien die Silhouette von Vics Flugzeug, dem Water Wagon mit seinen charakteristischen Klumpfüssen.
»Der ist unchristlich früh unterwegs, und das am Sonntag Morgen«, brummte Nick mit verschlafener Stimme, während er seine steifen Glieder streckte, dass es knackte.
»War wohl nicht sehr bequem auf dem Sofa?«
»Nein, aber ich hatte meine Ruhe«, grinste er. Blitzschnell kniff sie ihn in den Po und wisperte freundlich, aber bestimmt:
»Ab heute hast du Couchverbot.«
Vic schwenkte ein Baguette, als er schnellen Schrittes den Weg zum Haus heraufkam. Wenigstens weiß er, was sich gehört , dachte Nick. Laut sagte er: »Ich wusste nicht, dass man in deinem Erdloch auch Brot backen kann.« Sein Freund hielt ihm lachend das süß duftende frische Brot unter die Nase und antwortete:
»Das da kommt aus dem gestandenen Holzofen einer hervorragenden Bäckerei. Und mein Ahima’a ist kein Erdloch, sondern ein höchst raffiniertes Küchengerät, junger Mann.«
Während sie am Frühstückstisch saßen und der starke schwarze Kaffee Nicks Lebensgeister langsam weckte, begann er über ihr neues Projekt zu berichten. Mit der Zeit rückte die summende, zirpende, pfeifende und üppig duftende Natur, in der sie sich befanden, mehr und mehr in den Hintergrund, denn die Aufgaben und Probleme ihrer wissenschaftlichen Arbeit beherrschten zunehmend ihre Gedanken. Hätten sie sich statt an diesem paradiesischen Südseestrand in einem kahlen Sitzungszimmer im frostigen Washington unterhalten, der Unterschied wäre wohl keinem sonderlich aufgefallen. Vic hörte geduldig zu und nippte lange an seinem Fruchtsaft, bevor er den ersten Kommentar abgab.
»Ihr steuert die künstlichen Glieder ausschließlich durch Reize aus dem Motorkortex und dem Kleinhirn, wie ich verstanden habe, nicht wahr?« Julie nickte. Als müsste sie sich verteidigen, ergänzte sie:
»Die Annahme dabei ist natürlich, dass der Motorkortex die Befehle an die Muskulatur sendet.«
»Das ist die gängige Lehrmeinung«, brummte Vic, mehr zu sich selbst. »Vielleicht ist dieser Ansatz zu restriktiv.«
»Wie meinst du das?«, fragte Nick mit einem vielsagenden Seitenblick auf Julie. Es war jetzt entscheidend, Vic einfach reden zu lassen, auch wenn ihnen vieles dessen, was er sagte, bekannt war. Er wusste, dass sein Freund die kreativsten Ideen entwickeln konnte, während er frei über ein Thema dozierte.
»Nun, wie ihr wisst, ist das menschliche Gehirn ein sehr komplexes Organ, über dessen Funktion wir erst wenig verstehen. Es ist doch schon höchst erstaunlich, dass allein die Größe der Großhirnrinde zumindest bei Wirbeltieren entscheidend ist für die Entwicklungsstufe. Wenn man den Kortex eines Schimpansen hier flach auf den Tisch legen würde, wäre er etwa so groß.« Vic zeigte auf ein Papierblatt aus Nicks Unterlagen. »Würde ich aber meine Hirnrinde ausbreiten, wäre sie viermal so groß. Bei deiner wäre ich mir allerdings nicht so sicher. Wie gesagt gilt diese Regel aber nur für Wirbeltiere, also unter anderem für uns Menschen. Das Organ hat sich keineswegs geradlinig aus einfachen zu komplexen Strukturen hin entwickelt. Das Gehirn einer Krake ist zum Beispiel völlig anders aufgebaut als dasjenige eines Hundes, und doch verhält sie sich locker ebenso intelligent, wie Julie als Biologin sicher bestätigen kann.« Er strich sich nachdenklich über den Bart, bevor er weiterfuhr. »Ich habe mich in den letzten Monaten meiner Forschungstätigkeit unter anderem mit den Mechanismen beschäftigt, die uns Wirbeltiere vor allem zu flexiblen, sinnvollen Reaktionen auf äußere Reize befähigen, anders als etwa Mücken,
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