Zehn Mythen der Krise
ein Haus auf Kredit kaufe oder der Staat auf Kredit eine Schule baut, werden die künftigen Generationen gerade nicht belastet, sondern man versucht, mithilfe der heute zur Verfügung stehenden Kaufkraft, also der Ersparnisse anderer Gruppen, und – was man nicht vergessen darf – neu geschaffenen Geldes, die Situation der Kinder oder zukünftiger Generationen generell zu verbessern, indem man ihnen eine Infrastruktur und andere reale Vermögensgegenstände (die Ökonomen sprechen hier von einem Kapitalstock) überlässt, aus dem man hohen Nutzen ziehen bzw. mit dessen Hilfe man ein hohes Einkommen erzielen kann.
Dieser Glaube ist aber selbst dann fundamental falsch, wenn der Staat das geliehene Geld nicht investiert, sondern für den Konsum verwendet. Hinter jedem geliehenen Euro steht nämlich eine Forderung gegen den Staat, die sich in den Händen eines privaten Haushalts oder eines Unternehmens befindet. Wann immer der Staat seine Verschuldung erhöht, muss er ja jemanden finden (einen privaten Haushalt in der Regel, in Krisenzeiten auch die Notenbank), der ihm einen Teil seiner Ersparnisse zur Verfügung stellt, der also nicht konsumiert in der Hoffnung, jemand werde sich das Ersparte leihen und ihm einen vernünftigen Zins bezahlen. Wenn aber die Forderungen an den Staat in gleichem Maße wachsen wie seine Schulden, ist es kompletter Unsinn zu behaupten, die Verschuldung des Staates belaste zukünftige Generationen, weil diese zwar zum einen immer die Schulden des Staates erben, von ihren Eltern zum anderen aber auch die Forderungen gegen den Staat. Folglich ändert sich durch staatliche Verschuldung die Vermögensposition zukünftiger Generationen niemals, das staatliche Schuldpapier ist lediglich eine langfristige Strategie des Staates, die den Versuch der heutigen Generation, zu sparen, erst möglich gemacht hat. Ganz gleich, wer konkret das staatliche Schuldpapier hält, also etwa Banken oder private Haushalte: Die zugehörige Vermögensposition ist immer vorhanden, und sie ist, trotz mancher heutiger Zweifel, immer noch die sicherste Art von Vermögensposition, die es gibt.
Man mag nun argumentieren, Staatsschulden seien immer schlechter als eine Verschuldung der Privaten, weil der Staat weniger effizient sei. Wenn also auch private Investoren als Gläubiger bereitstünden, solle der Staat nicht mit ihnen in Konkurrenz treten. Das ist durchaus in gewissen Grenzen richtig, obwohl die privaten Investoren immer eine staatliche Infrastruktur oder gut ausgebildete Arbeitskräfte brauchen, um erfolgreich wirtschaften zu können. Gleichwohl: Wenn die Privaten es weitgehend übernähmen, die Sachinvestitionen, die jede funktionierende Wirtschaft braucht, durchzuführen und damit die Versuche der privaten Haushalte, Ersparnisse zu bilden, in der Sache fundierten, könnte der Staat auch ohne Schulden auskommen.
Allerdings ist dieses einfache Bild eine Illusion, es ist der große unausgesprochene Mythos aller vehementen Verteidiger der freien Marktwirtschaft. Um halbwegs realistisch zu sein, muss man nämlich mit ins Bild nehmen, dass der Versuch der privaten Haushalte, Ersparnisse zu bilden, dem Versuch der Unternehmen, erfolgreich zu investieren, diametral entgegengerichtet ist. Und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Wenn nicht sonst irgendwo auf der Welt jemand seine Ersparnisse reduziert, bedeuten mehr Ersparnisse der privaten Haushalte unmittelbar weniger Nachfrage für die Unternehmen. Hier müsste eigentlich jeder Mensch, der sich ernsthaft mit Ökonomie auseinandersetzen will, innehalten und grundsätzlich fragen, wie das gehen soll. Wie soll ein System funktionieren, in dem der entscheidende Link, der das System allein zukunftsfähig machen kann, also der Link zwischen Sparen und Investieren, im Lichte der gesamtwirtschaftlichen Logik so fragwürdig ist.
Sparen fördert das Investieren nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Sparen behindert es sogar. Jeder Euro, der nicht von den Konsumenten an die Unternehmen (von denen Erstere ihre Euros ja in Form von Löhnen überwiegend bekommen haben) zurückfließt, stellt für Letztere einen Verlust dar. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass sich hier das Schicksal der modernen Marktwirtschaft entscheidet: Indem sie sparen, wollen die einen etwas für ihre Zukunft in einer arbeitsteiligen Wirtschaft tun, für die Zeit also, in der sie ihren Lebensunterhalt selbst nicht mehr durch Arbeit finanzieren können, weshalb sie dann auf das Zusammenspiel aller
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