Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen
Russland EU-Mitglied ist, dann fällt mir ein, dass ich jetzt Amerikaner bin. Ich bin Friendly. Die Schlange bewegt sich schnell. Das wird einfach, sage ich mir. Ich nehme den Pass von dem Kirchenmann aus der Innentasche seines schwarzen Mantels, trete an die Glaskabine und reiche ihn dem Beamten rüber, einem Typen mit dunklen Brauen und gräulichem Bart. Er öffnet den Pass und sagt etwas in seiner Muttersprache. Ich mache ein Hä?-Gesicht. Als er es wiederholt, merke ich, dass er Russisch spricht. Dieses Arschloch spricht verdammt noch mal Russisch.
»Wie bitte?«, sage ich.
»Sie sprechen kein Russisch?«, fragt er auf Englisch.
»Nein, ich bin in den Staaten geboren.«
Er hält meinen Pass hoch und sagt:
»Hier steht, Sie sind in Smolensk geboren.«
Plötzlich werden die Adern in meinem Hals so dick wie die Saiten eines elektrischen Fender-Basses. Scheiße. Ich habe ihm den falschen Pass gegeben! Igors Pass. Jetzt bin ich Igor statt Friendly. Verdammte Scheiße.
»Ahm, ja. Aber ich war, also, als wir umgezogen sind, meine Eltern sind nach Amerika gezogen als ... als ich sechs Monate alt war, deswegen, also für mich ...«
»Und seitdem wohnen Sie in Amerika?«
»Ahm, ja. Ja. Genau.«
Ich bin erleichtert.
»Aber Ihr Akzent klingt slawisch«, sagt der Arsch. Was soll denn das? Dieser Typ ist doch total überqualifiziert. Ist das einer dieser russischen Atomphysiker, der in seinem Beruf keinen Job mehr findet?
»Ahm, ja, das ist eine lange Geschichte. Meine ... meine Eltern ... Ich habe in meiner Kindheit allein mit meinen Eltern gelebt, im Wald, und die Sprache von ihnen gelernt. Und sie sprachen eben Englisch mit einem starken ... sehr starken russischen Akzent.«
Der Beamte sieht mich zwei lange Sekunden an. Dann fällt sein Blick auf den Kragen. »Sie sind Priester?«
Sein Akzent ist schwer zu bestimmen. »Ja. Ich bin Pater ... Pater Illitsch.« Nun wird es wirklich lächerlich.
»Das steht aber nicht im Pass«, sagt er. Mir ist, als hätte ich den serbischen Meister in Sturheit vor mir.
Er bittet mich zu warten und verlässt seine Glaskabine. Die Leute in der Schlange hinter mir stöhnen auf, doch ich drehe mich nicht um.
Eine Minute später ist er mit einem älteren Beamten in einem blauem Hemd zurück. Sie sehen mich an wie ein schwules Paar, das jemanden für einen Dreier casten will. Dann sagt der Ältere endlich mit dem Akzent, den ich aus dem Flugzeug kenne: »Sie sind Priester?«
»Ja.«
»Was führt Sie nach Island? Sind Sie geschäftlich hier oder ... ?«
Da finde ich endlich die Stimme von Igor. Seinen wahren orthodoxen Geist.
»Die Tätigkeit eines Geistlichen ist immer ein Vergnügen, aber Sie können es sicher auch Geschäft nennen, wenn Sie mögen.«
Das blaue Hemd scheint mit meinen Worten zufrieden zu sein. Er sieht mich noch mal flüchtig an, dann gibt er mir den Pass und sagt: »Okay. Angenehmen Aufenthalt.«
Verdammt. Wie konnte ich nur so unvorsichtig sein? Wie konnte ich nur ... Moment. Vielleicht habe ich auch genau das Richtige getan. Das FBI hat Reverend Friendly bestimmt längst gefunden. Wie lange wird es dauern, bis sie ihn identifizieren? Dann sollten sie besser nicht rauskriegen, dass jemand hier im Nordmeer mit seinem Pass herumkreuzt.
Ich lasse mich vom Strom der Passagiere weiter in den Terminal hineintragen. Mr. Friendlys Lederschuhe quietschen auf dem Fußboden. Igors Laufschuhe sind in der Aktentasche, genau wie seine Lederjacke. Ich erreiche die Haupthalle und frage mich, was nun. Ich gehe an einen Schalter und erkundige mich nach Flügen nach Frankfurt, Berlin, London, egal wohin. Eine vierzigjährige Überblondine sagt, dass es zwar genug Flüge gebe, aber alle ausgebucht seien. Erst in drei Tagen gebe es wieder etwas. Nach Kopenhagen und von dort nach Zagreb. Ich frage mich, wie meine Koffer das wohl finden. Dann hole ich Igors VISA-Karte heraus und kaufe ihm ein Ticket in das Vaterland von Tomislav. Mr. Friendly sieht zu, wie Toxic als Mr. Illitsch unterschreibt. Mein Leben ist auf einmal ziemlich kompliziert geworden. Eine Schichttorte aus Identitäten.
Die Überblondine rät mir, in die Stadt zu fahren, und gibt mir die Adresse von einem Hotel. »Es sind nur vierzig Minuten mit dem Bus«, sagt sie, und ein weiteres Lächeln setzt sich in meinem Hirn fest. Was soll's, drei Tage in Wikingerland können nicht schaden. Abgesehen davon, dass drei Tage ohne Waffe für Toxic ziemlich hart sein werden.
Eine Rolltreppe trägt mich eine Etage nach
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