Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen
mit entschlossenem Blick, eine serbische Zastava. Vertraute sie mir nicht? Ich versuchte cool zu bleiben, mein AK-47 hing an einem Schultergurt auf meinem Rücken.
»Willst du mich etwa erschießen?«, fragte ich sehr ruhig.
»Das wollte ich schon immer.«
»Warum?«
»Weil du ein Arschloch bist.« »Ich habe dich geliebt.« »Lügner.« »Doch, im Ernst.«
»Ich habe dich vermisst«, sagte sie mit zitternden Lippen.
»Ich dich auch.«
»Du hast mir nie zurückgeschrieben?«
»Doch. Hast du den Brief nicht gekriegt? Ich habe dir nach Belgrad geschrieben. An die Adresse deiner Tante.« »Lügner.«
»Senka ...«, sagte ich lächelnd. »Du bist ja noch so durchgeknallt wie immer. Früher hast du auch dauernd gesagt, du würdest mich umbringen, weißt du noch?«
»Ja. Und nun kann ich es endlich tun.«
Plötzlich fühlte es sich an, als wären wir wieder zusammen. Als wären wir wieder im Partykeller von ihrem Stiefvater in der Altstadt von Split und hätten mal wieder angefangen, uns zu streiten, und ohne zu überlegen streckte ich den Arm aus und berührte ihr Gewehr mit meinem Zeigefinger. Ich steckte meinen Finger in den Lauf, so weit ich konnte, während ich ihr mit meiner entspanntesten Stimme sagte, dass sie mich doch lieber küssen solle statt töten. Ich spielte weiter mit ihrem Gewehr, machte das internationale Zeichen für »make love, not war« (indem ich ihn einige Male aus ihrem Gewehrlauf herauszog und wieder hineinsteckte), bis ihre Lippen sich zu dem Lächeln zusammenfanden, das ich fünf lange Jahre vermisst hatte.
Bald danach küssten wir uns wieder. Ich und meine verrückte Freundin. Ich und meine serbische Freundin.
Kurze Zeit später waren wir auf dem Bett, unsere gierigen Hände versuchten ihren Weg durch fünf verlorene Jahre und zwei schwere Kampfmonturen zu finden. Draußen explodierten Bomben. Das ganze Haus zitterte wie von einer Abrissbirne getroffen. Was nur Öl in unser Feuer goss. An Oles Ansichten über Sex im Gefängnis mag auch etwas dran sein, doch eins ist sicher: Nichts ist erregender als Sex im Krieg. »Make love in war.« Wir atmeten schwer, und ich hatte meine Finger auf ihren festen Armeebrüsten, als zwei meiner Kameraden auf einmal ins Zimmer stürmten, lachten und mich anfeuerten. Es hatte den gegenteiligen Effekt. Sie bemerkten es, stießen mich zur Seite und hielten Senka mit ihren schmutzigen Händen den Mund zu.
Ich musste ihnen zusehen. Ich versuchte, meine Augen zu schließen, aber das war noch schlimmer. Ich musste den Scheißkerlen zusehen. Ich wollte nicht, dass sie Senka töteten, also musste ich warten, bis sie fertig waren.
Man kann also doch zwei ASMs haben.
Immer und immer wieder habe ich versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Jeden einzelnen Monat meiner Zeit in New York habe ich ihren Namen gegoogelt, ihren Freunden und ihrer Familie geschrieben, ohne großen Erfolg. Eine Freundin aus Split schrieb mir aus Italien, dass sie vor Jahren mal eine Postkarte von Senka bekommen hätte, abgeschickt in Belgrad. Sonst nichts. Ich dachte schon, sie wäre tot, doch die Namensdatenbank der Friedhöfe bestätigte das nicht. Da fand ich nur ihren Stiefvater, der 2001 in Novi Sad beerdigt worden war. Sie lebte wohl außerhalb des Internets in einem Bergdorf oder einem fernen Land. Ich hatte seit drei Monaten ihren Namen nicht mehr in den Computer eingetippt, als ich ihr im Winter plötzlich über den Weg lief.
In Reykjavik.
Ausgerechnet im Einkaufszentrum Kringlan, vor dem Buchladen Penninn, neben dem Souvenirladen. Es war kurz vor Weihnachten. Alles war voller gestresster Isländer, als wir uns gegenseitig fast über den Haufen rannten. Kein Zweifel, das war sie. Anhand dieses Muttermals hätte ich sie in jedem Massengrab identifiziert. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie mich erkannte. Leute drängelten sich vorbei, doch wir standen wie festgefroren da und sahen uns an, ohne viel zu sagen. Ich war auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für Gunnhildur und hatte nichts gefunden. Außer Senka. Sie versteckte ihre große Narbe mit einem Schal. Ihre Wangen waren immer noch so schön hart und ihre Lippen weich und voll, aber ihre Schönheit war verblasst. Außerdem war sie dick geworden. Ich konnte ihr ansehen, dass sie dasselbe von mir dachte. Wir setzten uns in ein Café.
»Du hättest mich damals in diesem scheiß Keller töten sollen«, sagte ich in unserer geliebten Muttersprache.
»Nein. Dann hätten deine Freunde mich umgebracht.«
»Sie
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