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Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen

Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen

Titel: Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hallgrimur Helgason
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wollten mich umbringen, weil ich dich laufengelassen habe.«
    »Wir sind alle ein bisschen gestorben in diesem Krieg, glaube ich. Wie meine Mutter immer gesagt hat. Krieg tötet alle, auch die, die ihn überleben.«
    Senka und ihre Mutter sind vor drei Jahren nach Island gekommen, nachdem sie ein Jahrzehnt mehr oder weniger heimatlos umherzogen waren. Sie mussten sogar mehr als ein Jahr in einem Flüchtlingslager des Roten Kreuzes verbringen, in dem Senkas Stiefvater, der Dichter, verstarb. Der Rest der Familie war im Krieg ums Leben gekommen, und Senka und ihre Mutter schlössen sich schließlich einer Gruppe von dreißig Serben an, die ein neues Leben in einem neuen Land anfangen wollten. Anfang 2003 ließen sie sich in einem kleinen Dorf in Westisland nieder. Dort wohnten Mutter und Tochter zwei Jahre lang in einer nagelneuen, von den Einheimischen eingerichteten Wohnung. »Die sind echt nett da oben, aber trotzdem war es, wie in einem Einbauschrank zu wohnen. Überall diese steilen blauen Berge um uns herum. Im Winter sieht man die Sonne fast drei Monate nicht.« Ihre Mutter verließ die Wohnung kaum noch, starrte aus dem Fenster, auf den Ozean, »man konnte ganz bis nach Grönland sehen«, während Senka in der Fischfabrik arbeitete. »Der langweiligste Job, den ich je hatte.« Als die Alte mehr Pflege brauchte, zogen sie nach Reykjavik. Am Anfang arbeitete Senka als Kassiererin bei Bonus, aber vor kurzem hatte sich ihr Lebenstraum erfüllt: Sie bekam einen Job bei den Werkstätten des Stadttheaters.
    Wahnsinn. Es gab so viele Städte auf dieser Welt, und wir landeten beide ausgerechnet hier.
    Ihre Mutter war inzwischen senil geworden, sagte Senka. »Sie redet nur noch von Grönland. Dass sie nach Grönland muss.« Ihre Mutter hatte die beste Lösung gefunden, um mit ihren Schicksalsschlägen fertigzuwerden: Alzheimer. Senka und ich fanden eine andere Lösung.
    Sie erwartet mein Kind.
    Ich biege ab nach Garðabær. Der schwarze Audi scheint den Weg von alleine zu finden. Bald schon parke ich ihn vor dem Haus meiner isländischen Schwiegereltern.
    Die Kugel hat meine Blase auf die Größe eines Dinosauriereis anschwellen lassen. Ich brauche fast vier Minuten, um aus dem Auto auszusteigen. Warum bin ich überhaupt noch hierher gekommen? Ich hätte direkt ins Leichenschauhaus fahren sollen. Dadurch hätte ich allen Geld und Zeit gespart. Aber ich wollte Gunnhildur Senkas Telefonnummer geben, damit meine Kinder sich kennenlernen können.
    Die Schmerzen in meinem Unterleib werden mit jedem Schritt stärker, den ich mich, eine Blutspur hinterlassend, in Richtung Eingangstür bewege. Ohne Glockengeläut öffne ich die Tür und steige über die goldene Schwelle. Musik dröhnt mir entgegen - Flöten, Trommeln, alles Mögliche -, und als ich endlich das Wohnzimmer (in meinen Schuhen) betrete, sehe ich sie alle vor dem Fernseher versammelt: Gutmunduhr und Zickrita, Tortur und Hanna, Ari und Gunnhildur, Ole und Harpa. Sie scheinen überrascht, mich zu sehen, starren mich mit großen Augen, kleinen Nasen und offnen Mündern an. Acht liebenswerte Schneebälle sehen einen in Flammen stehenden Mann.
    »Ich habe ...«, schaffe ich noch zu sagen, bevor ich zusammenbreche, «... ich habe sie nicht umgebracht.«
    Sie kommen zu meiner Rettung. Oles kleiner goldener Ohrring schimmert über mir wie ein Heiligenschein, den mir jemand aus einem Hubschrauber zuwirft. Tortur wird ganz rot, verwandelt seine Brillengläser in zwei Halbmonde. Gunnhildurs helles Gesicht über mir wie eine große Sonne über einem vom Krieg verheerten Land. Sie sagt etwas, aber ich höre nicht, was. Dann erscheinen weitere Gesichter. Hanna, Harpa, Zickrita ... Alle sagen etwas, doch ich kann nichts verstehen, denn das Zimmer ist erfüllt von Musik. Ich kenne das Lied zwar nicht, aber einige Wörter verstehe ich.
    »AI Bogu ne mogu ...«
    »Was ist das für ein Lied?«, schaffe ich zu flüstern. »Das Gewinner-Lied. Aus Serbien. Serbien hat gewonnen!«, sagt Gunnhildur.
    »Oh. Gewonnen? Schön für sie«, sage ich. Ich bin mir nicht sicher, was dann passiert.
     
     

Impressum
    Erste Auflage, 2010
     
    ebook Erstellung - April 2010 - TUX
Preis: EUR 19,90
Gebundene Ausgabe: 270 Seiten
Verlag: Tropen Bei Klett-Cotta;
Auflage: 2., Aufl. (März 2010)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3608501088
ISBN-13: 978-3608501087
     
    Ende
     

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