Zehn zärtliche Kratzbürsten
Pressereferenten der Firmen zunehmend dem Suff verfallen, ganz zu schweigen von den Chefs und allen anderen, die über einen Repräsentationsetat verfügten. Noch in den Siebzigerjahren war es üblich gewesen, dass man den Arbeitstag mit ein paar Bier begann, später beim Lunch aß man der Form halber eine Kleinigkeit zu Wein und Kognak, und endlich am Abend ließ man zu Ehren des langen Arbeitstages die Sau vollstä n dig raus. Dann ging es am Morgen wieder zur Arbeit, mit der ersten Bierflasche in den zitternden Händen und mit einer mächtigen Schnapsfahne. Die Journalisten hatten bei diesen als Pressekonfere n zen getarnten Saufgelagen eifrig mitgemacht, sie waren zu Trinkern geworden, und viele waren an den Folgen gestorben. Sonja war eine Journalistin aus jener Zeit, ein zähes Weib, die heutigen Milchbubis würden es nicht mal gemeinschaftlich schaffen, sie unter den Tisch zu trinken. Doch auch sie würde über kurz oder lang ihre Wahl treffen müssen, entweder sie trank ihr Gehirn zu Brei, oder sie hörte auf mit der ganzen Sache, die ihr schon jetzt viel zu sehr zusetzte.
Rauno Rämekorpi betrachtete sein Sekt schlürfendes Gegenüber. Sonja Autare war bereits älter als sechzig, aber sie hatte immer noch einen elastischen Körper und feste Muskeln, vielleicht joggte sie, wenn sie nicht gerade soff. Zu Nordic Walking würde sich diese Frau niemals hinreißen lassen, vermutlich war es schon viel, wenn sie sich auf die Skier stellte. Die Spuren des Saufens zeigten sich nur in einigen wenigen Furchen im Gesicht. Ihr Teint hatte seinen Schi m mer behalten, ihre Mimik war lebendig. Das fast schwarze Haar fiel ihr bis auf die Schultern, von denen nur eine im Morgenrock steckte, die andere war nackt, war beim Trinken herausgerutscht.
Rauno Rämekorpi verriet ihr, dass man ihn zum Vater gemacht hatte. Er erzählte mit Tränen in den Augen, wie er von einer jungen Frau benutzt worden war. Ein Lump von einem dänischen Ingenieur hatte ihm zusammen mit der jungen Frau ein Kind untergejubelt, und jetzt war ein heftiges Dreiecksdrama im Gange. In den späten mittl e ren Jahren ist die Geburt eines unehelichen Kindes kein ganz alltä g liches Geschehnis, das bestätigte auch Sonja bereitwillig und bot ihm ihre weiße Schulter als Stütze an . Sonja war jetzt mächtig in Sti m mung und beklagte nicht etwa Raunos Schicksal, sondern beglüc k wünschte ihren alten Kumpel herzlich.
Sonja: Nimm dankbar an, was dir von oben gegeben wird.
Rauno: Ohne zu fragen, wird ein ganzer kleiner Mensch in diese Welt geschmissen.
Sonja sah in der Geburt des Kindes hauptsächlich Gutes. Rauno war ein begüterter Mann und konnte sein uneheliches Kind mühelos ernähren, und dieser taube Sack von einem Ingenieur würde kaum in der Lage sein, ein wirkliches Drama zu inszenieren. Rauno könnte den Kerl nach Dänemark zurückschicken und fertig. Sie versprach, den Dänen auf ihre Weise zu baldiger Ausreise zu bewegen, entspr e chende Mittel und Wege würden sich garantiert finden.
Sie öffneten die zweite Flasche. Die Stimmung wurde ausgela s sen. Sonja wankte in ihrer Euphorie zum Kühlschrank, um etwas zu essen zu holen. Dort fanden sich allerdings keine sehr verführer i schen Delikatessen, lediglich ein paar stinkende Käsekanten, und auf dem Abwaschtisch lagen krümelige Salzstangen und Reste von Knäckebrot. Erschöpft kam sie damit zurück und servierte es. Auch sie hatte jetzt das Bedürfnis zu reden und sich dem anderen anzuve r trauen.
Sonja: Es ist alles so furchtbar …, ob du es glaubst oder nicht, Rauno; ich bin wirklich eine echte Säuferin. Will sagen, eine Alk o holikerin, ich habe mein ganzes Leben lang getrunken. Schon seit Tagen bin ich nicht mehr aus diesem Loch rausgekommen, vorge s tern, glaube ich, habe ich zuletzt eine richtige Mahlzeit gegessen.
Das war nicht schwer zu glauben, alles in dieser Wohnung künd e te von einem verkommenen, alkoholgeschwängerten Leben. Sonja weinte über ihr eigenes Elend, dann warf sie ihrem Gast Kusshände zu, vergaß schließlich alles und begann ernsthaft zu flennen. Rauno schenkte Champagner nach und brachte sie dazu, sich zu beruhigen.
Bald überkam Sonja ein enormer Tatendrang, sie griff sich einen leeren Bierkasten und schleuderte ihn durchs Fenster auf den Inne n hof. Es knallte heftig, als der Kasten, er fiel immerhin aus dem sechsten Stock, unten auf dem Asphalt aufschlug und in tausend Stücke zersprang. Sie erklärte, sie wolle saubermachen, da ein feiner Herr im Frack
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