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Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall

Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall

Titel: Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Beweise hat mir denn der unbekannte Anrufer für die Täterschaft dieser ominösen anderen Person präsentiert?, fragte er sich. Er hat mir zwar die richtigen Titel der Bücher genannt, aus denen die Zitate stammen. Aber das sind Informationen, die er genauso gut den Medien entnommen haben kann.
    Und dieses Gelaber darüber, dass der wahre Sniper bei ihm eine Psychotherapie durchgeführt hätte? Das kann frei erfunden sein.
    Vielleicht ist das ja auch eine Falle, schoss ihm plötzlich eine Leuchtrakete durch den Kopf. – Quatsch, alter Junge, du siehst mal wieder Gespenster! Obwohl … Mist, meine Dienstwaffe liegt in der Schreibtischschublade.
    Er drosselte die Geschwindigkeit, setzte den Blinker und verließ an der Ausfahrt ›Bornheim‹ die A 61, auf die er kurz zuvor am Alzeyer Kreuz gewechselt war.
    »Wenn möglich bitte wenden«, forderte die blecherne Computerstimme des Navigationsgerätes. »Wenn möglich, bitte wenden.«
    »Halt die Schnauze!«, zischte er wütend.
    Verflucht und zugenäht, was mach ich denn jetzt bloß?, pochte es unter seiner Schädeldecke. Und wenn doch etwas Wahres an dieser verrückten Geschichte dran ist? Wenn wir den Täter wirklich noch nicht haben und er weitere Morde begeht? Dann würde ich mir lebenslang Vorwürfe machen.
    Angestrengt grübelte er über dieses Thema nach. Dann fasste er einen Entschluss: Ach, was soll’s, wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch noch die restlichen Kilometer bis Bingen weiterfahren. Ist ja gar nicht mehr weit. Außerdem: Rhein-Nahe-Dreieck bei Nacht, das ist doch mal was anderes als immer nur Kaiserslautern bei Nacht.
    Etwa zwanzig Minuten später meldete die mechanische Navigatorenstimme »Zielort erreicht.«
    Tannenberg parkte seinen Dienstwagen in der Museumstraße, schaltete sein Handy aus und folgte zu Fuß der Beschilderung ›Rheinufer‹. Sie geleitete ihn über die Salzstraße auf direktem Wege zu der nur schummerig beleuchteten Rheinpromenade. Als er den dunklen, träge dahingleitenden Strom erblickte, der sich wie eine zähflüssige Lavamasse in Richtung des Mäuseturms bewegte, erinnerte er sich unwillkürlich an Bruchstücke eines Tucholsky-Gedichts:
     
    ›Es fließt ein Strom durch’s deutsche Land,
    drin spiegeln sich Schlösser und Zinnen.
    Alle Romantik hat hier ihr Revier,
    und je lauter das Rheinlied, je kälter das Bier.
    Es reimt sich der Rhein,
    auf Schein und auf Sein‹.
     
    Vielleicht ist wirklich alles nur Schein und dieser angebliche Therapeut hat sich nur einen üblen Scherz mit mir erlaubt. Mit flackerndem Blick inspizierte er die nähere Umgebung. Außer zwei älteren Frauen, die von riesigen Schirmen geschützt ihre Vierbeiner ausführten, konnte er weit und breit kein weiteres menschliches Lebewesen erspähen. Vielleicht sitzt der Kerl hier irgendwo in seinem Auto und lacht sich ins Fäustchen, während ich mir einen abfriere, schimpfte er im Stillen.
    Das Wetter gebärdete sich zunehmend ungastlicher. Ein paar Kilometer vor den Stadttoren Bingens hatte es angefangen zu regnen. Und nun kam auch noch ein unangenehmer, schneidender Wind auf, der Tannenberg die Wassertröpfchen ins Genick wehte. Er hatte das Gefühl, als ob man ihn mit kleinen Nadeln pieksen würde. Ein kalter Schauder lief ihm den Rücken hinunter. Er schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch, zog die Schultern empor und schüttelte sich.
    »Brrr, was für ein elendes Scheiß-Spiel«, knurrte er.
    Er passierte einen Anleger, an dem ein Ausflugsschiff der Rheinflotte scheinbar mühelos der starken Strömung trotzte. Einsam tuckerte ein schwer beladenes Lastschiff stromabwärts. Auf der hessischen Seite des Flusses verlief eine Bundesstraße, die jedoch zu dieser späten Abendstunde nur noch wenig frequentiert war.
    Endlich erreichte er den Zusammenfluss von Nahe und Rhein. Irgendetwas zog ihn magisch zum Wasser hin. Da die Nahe in einem schrägen Winkel in den Rhein mündet, war diese Stelle der Uferpromenade weitgehend von Wassermassen umgeben. Er fühlte sich wie auf der Bugspitze eines Schiffes.
    Er nahm einen flachen Kieselstein und warf ihn so geschickt, dass er ein paar Mal über die Wasseroberfläche hüpfte und anschließend in den trüben Fluten versank. Tannenberg schloss die Augen und lauschte eine Weile dem melodischen Plätschern, dann schöpfte er tief Atem, dehnte seinen übermüdeten, steifen Körper und drehte sich schließlich um.
    Erschrocken fuhr er zusammen. Vor ihm stand ein Bär von einem Mann. Er war knapp zwei Meter

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