Zeichen im Schnee
knirschende Schnee sprachen für sich. Die Temperatur war seit dem frühen Abend drastisch gesunken. Es war richtig kalt, die Art von Kälte, bei der er sich wohlfühlte, sogar jetzt, da seine Sinnesorgane so weit abgestumpft waren, dass es für ihn gefährlich werden konnte. Er stapfte über den festgetretenen Schnee. Unmittelbar vor ihm vernebelte Raueis die Luft, doch an dem dunklen Himmel strahlten die Sterne. Eine Weile schaute Derek hinauf, dann machte er sich über die Front Street auf den Weg zu Zach Barefoots Haus.
Hinter dem Tundra-Inn gingen zwei Männer an ihm vorbei, zwischen sich eine kleinere, vorwärtsstolpernde Person. Er konnte nur die Gesichter der zwei Männer sehen, einer hatte eine lange Nase und einen ausgeprägten Kiefer wie ein Elch, der andere sah gut aus und hatte stahlblaue Augen. Die kleinere Gestalt zwischen ihnen wurde durch ihre Körper verdeckt. Die zwei Männer sprachen leise, ihre Umrisse wirkten im Raueis unheimlich. Derek äußerte einen Gruß, der nicht erwidert wurde, und bemerkte, dass sie gar nicht Englisch sprachen. Die ungewohnte Satzmelodie und die weichen Zischlaute ließen auf Russisch schließen, eine Sprache, in der er einigermaßen firm war, weil er ein paar Jahre eine russische Freundin gehabt hatte. Doch sie sprachen zu schnell für ihn, und er bekam nicht mit, was sie sagten. In Zachs Straße blieb er zögernd stehen. Die Russen waren nicht mehr zu sehen, aber er hörte Schritte im Schnee, drei verschiedene, zwei schwere, einen leichteren. Und dann meinte er, ein Wimmern zu hören.
Neugierig geworden, folgte Derek den Geräuschen in eine kurze Seitenstraße. An der Straßenecke sah er alle drei Gestalten im strahlenden Licht des Neonschildes einer heruntergekommen wirkenden Pension namens Chukchi-Motel. Als sie die Eingangsstufen hinaufgingen, konnte er erkennen, dass die kleine Gestalt zwischen ihnen eine junge Frau war, fast noch ein junges Mädchen. Elchnase klingelte. Einen Moment lang sah es so aus, als wüsste das Mädchen, dass Derek sie beobachtete, dann wurde sie hineinbugsiert, und die Tür ging zu.
Er wartete kurze Zeit an der Ecke, dann folgte er ihren Fußspuren bis zu den Stufen des Motels. Oben angekommen, klingelte er und wartete. Nichts geschah. Er klingelte noch einmal. Wieder nichts. Ein leises Surren lenkte seinen Blick auf ein Fenster im obersten Stockwerk, wo ein Rollo sich bewegte, als sei es hochgezogen und ganz schnell wieder heruntergelassen worden. Das Motel-Schild summte und ging aus. In vollkommener Dunkelheit beobachtete Derek den Motel-Eingang, bis er spürte, dass die Härchen in seinen Nasenlöchern gefroren. Dann stieg er, weil er einsah, dass er betrunken und nicht imstande war, angemessen zu handeln, die Stufen hinunter und machte sich auf den Weg zu Zachs Haus.
Dort fand er eine Nachricht von Zach vor, mit der er sich für sein Nichterscheinen entschuldigte. Es habe einen illegalen Jagdvorfall gegeben, um den er sich kümmern musste. Er sei um elf Uhr abends zurückgekommen und schlafen gegangen. Auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht von Edie, die anscheinend aber nichts Besonderes zu sagen gehabt hatte. In dem kleinen Gästezimmer zog Derek seinen Schlafanzug an, als ihm plötzlich mit aller Macht das Bild von dem Mädchen in dem Motel in den Sinn kam, als sei es aus einem verborgenen Winkel seines Gehirns gesprungen. Er ging in die Küche, machte sich Tee, um einen klaren Kopf zu bekommen, und strengte sich an, sich so weit zu konzentrieren, dass er einen Plan fassen konnte. Er musste zu dem Motel zurückgehen – etwas an der Szene hatte nicht gestimmt. Er hatte es gewusst, in seinem berauschten Zustand aber zu ignorieren versucht. Es gab viele mögliche Deutungen der Szene. Vielleicht war das Mädchen betrunken, hatte Zoff mit ihren Eltern, oder sie war in einen Schlamassel mit einem Jungen geraten, und die Familie brachte sie vom Ursprung ihres Kummers weg. Doch er wusste, sein Gewissen würde ihn nicht schlafen lassen, bis er hinging und sich überzeugte, dass mit ihr alles in Ordnung war. Er erwog, Zach zu wecken, überlegte es sich dann anders, zog seine Kälteschutzkleidung über und ging wieder in die Nacht hinaus.
Der Wind hatte Sprühnebel vom Meer auf die Straße getrieben, und die einzigen Fußabdrücke auf dem Gehsteig waren die eines Raben und eines Hundes. In der Seitenstraße, wo die Russen im Raueis verschwunden waren, blieb er stehen. Das Motel-Schild flackerte. Er ging die Stufen zum Eingang
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