Zeichen im Schnee
hinauf. Auf sein Klingeln hin erschien ein Mann mit dem Gesicht eines alten Walrosses und blinzelte ihn an.
«Ich suche ein dünnes Mädchen, etwa fünfzehn, hellbraune Haare. Sie ist in Begleitung von zwei Männern.» Er nahm sich zusammen. Sinnlos, sich streitlustig zu geben. «Ist was Persönliches.»
Das alte Walross sog die Luft durch die Zähne und sah weg, doch Derek blieb hart und fragte den Mann, ob er was dagegen habe, dass er sich mal umschaute.
«Wenn Sie so fragen – es ist spät. Wenn Sie ein Zimmer wollen, ist das was anderes, aber wir haben im Moment keins frei, also zischen Sie ab.»
Einen Augenblick blieb Derek stehen, doch sein Verstand sagte ihm, dass er nicht im richtigen Zustand war, um Krawall zu schlagen. Ohne ein weiteres Wort kehrte er um und ging zurück zu Zach Barefoots Haus. Es brannte Licht. Durchs Fenster konnte er Zach in der Küche Kaffee machen sehen.
«Ich hab die Tür gehört, aber bis ich aufgestanden war, warst du schon weg. Wo bist du mitten in der Nacht gewesen?»
Derek berichtete ihm, was er gesehen hatte.
«Hat vermutlich nichts zu bedeuten», meinte Zach und schob ihm einen Becher Kaffee hin. «Ich kenne den Alten, mit dem du gesprochen hast. Jimmy Aqtok. Er arbeitet seit zwei, drei Jahren in dem Motel. Er ist in Ordnung. Wenn da irgendwas vorgegangen wäre, hätten Megan oder ich davon gehört.»
Derek nickte, dem hatte er nichts hinzuzufügen. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, dass er auf das weiche Sofa plumpste. Dann verschwand die Welt, und er war eingeschlafen.
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7
Edie Kiglatuk warf fünf Vierteldollarmünzen in den Zeitungskasten, entnahm die Morgenausgabe des
Anchorage Courier
, betrat das Café
Schneeeule
und ging vorbei an dem Schild mit der Aufschrift: «Bitte warten. Sie werden platziert.»
Stacey trat an ihren Tisch. «Hi, Edie, wie geht’s?»
Stacey klappte ihren Bestellblock auf und tat, als wäre sie tief in Gedanken versunken. Trotz der schwarzen Klamotten und der Piercings machte sie einen aufgeweckten, klugen Eindruck. «Rentier-Chili gibt’s heute nicht. Ich empfehle Pfannkuchen mit Rentierwurst, dazu knusprigen Speck und zwei Cheeseburger ohne Brötchen, Käse und Gurke. Recht so?»
«Du hast den Tee vergessen.»
Während sie wartete, nahm Edie sich die Zeitung vor. Es war der dritte Tag des Iditarod-Rennens, und die Nachrichten darüber beherrschten nach wie vor die Titelseite. Sie dachte an Sammy, der sich mit nichts als seinem Schlitten und fünfzehn Hunden in den engen Pässen der Alaska-Gebirgskette befand, und sie wurde von einer Woge aus Zuneigung und Stolz erfasst.
Stacey brachte den Tee. Edie bedankte sich, gab sechs Löffel Zucker in die Tasse und blätterte den Rest der Zeitung durch. Kein Wort über TaniaLee oder Lucas Littlefish. In der Stadt war alles so schnelllebig. Sie fragte sich, ob man die junge Frau und ihr Baby so behandelt hätte, wenn sie
qalunaat
wären. Edie wünschte, sie könnte mit der Mutter des Jungen sprechen, mehr über sie erfahren. Aber fest stand, dass sie aus Detective Truro nichts über den Aufenthaltsort der jungen Frau herausbekommen würde.
Aus dem Augenwinkel sah sie Stacey mit einer Wärmeplatte voll Fleisch nahen.
«Alles in Ordnung?»
Edie wischte sich die nasse Wange ab und nickte, doch Stacey blieb mit besorgter Miene stehen.
«Ich hab über den kleinen Jungen nachgedacht, den man tot im Wald gefunden hat.» Edie unterbrach sich, weil ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie sich allein durch die Erwähnung des Themas in Gefahr brachte.
In den vergangenen Tagen war ihr klargeworden, dass es besser war, wenn so wenige Menschen wie möglich sie mit dem Tod des Jungen in Verbindung brachten. Sie war noch nicht hinter die Sache mit der schwangeren jungen Frau gekommen, die anscheinend vor dem Kino auf sie gewartet hatte, war sich jedoch ziemlich sicher, dass sie zu den Altgläubigen gehörte. Was sie wollte, wusste Edie nicht, sie vermutete aber, dass es damit zusammenhing, was sie an jenem Morgen im Wald gesehen hatte. Stacey hatte allerdings etwas an sich, das Edie das Gefühl gab, auf sicherem Boden zu sein.
«Ich bin manchmal zum Langlaufen in der Gegend. Genauso gut hätte ich ihn finden können.» Stacey hatte die Nachrichten wohl gehört, brachte sie aber offenbar nicht mit Edie in Verbindung. «Gott, kannst du dir so was vorstellen? Ich glaub, ich hab die Mutter ein paarmal in der Stadt gesehen.» Sie beugte sich vor und fügte hinzu: «Die haben
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