Zeichen im Schnee
Zach. Es war eine gute Zeit, auch wenn viele Menschen in dieser Zeit erfahren mussten, dass ihre Lieben während der aufgezwungenen Trennung gestorben waren und sie sie nie wiedersehen würden.
Zach hatte Derek erzählt, dass es den Inupiaq heute freistand, zu kommen und zu gehen, dass die Betätigungen der
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in der Beringstraße jedoch nach einer kurzen Belebung des grenzüberschreitenden Interesses wieder abgeflaut waren. Ein paar Versorgungsflugzeuge gab es noch, etliche Leute, die zum Iditarod-Rennen kamen, im Sommer das ein oder andere russische Forschungsschiff, aber das war es auch schon fast.
An der Kühlschranktür klebte ein Zettel von Zach mit dem Vorschlag, sich nach Dienstschluss in der Ankerbar zu treffen. Der Kühlschrank selbst war leer bis auf einen Klumpen, der aussah und roch wie Robbenfett. Derek durchsuchte die Schränke, bis er eine halbvolle Packung Vollkornkekse fand. Er machte sich süßen Tee und setzte sich, um sein Frühstück zu sich zu nehmen, bestehend aus Keksen, die mit fischigem, klumpigem Fett bestrichen waren.
Er verbrachte den Tag damit, mit dem Schneemobil an der Küste entlangzufahren und sich mit der Landschaft vertraut zu machen. Hin und wieder hielt er an und stellte sich vor, wie Sammy mit seinem Fünfzehn-Hunde-Gespann nordwärts preschte. Ab und zu dachte er auch an Edie, in der Hoffnung, dass sie sich, sobald sie die Sache mit Holzkopf geregelt hatte, entscheiden würde, nach Nome zu kommen, wenigstens für ein paar Tage. Es würde nicht schaden, sie im Auge zu behalten. Er spürte, dass seine Freundin sich trotz aller zur Schau gestellten Beherztheit immer noch die Schuld am Tod ihres Stiefsohnes gab, und er mochte nicht darauf bauen, dass sie sich nicht in die Untersuchung über den Tod des kleinen Jungen einmischen würde – als Teil eines unangebrachten Bemühens um Sühne, gewissermaßen.
Als er am Abend zu Fuß zur Ankerbar ging (er beabsichtigte, sich das ein oder andere Glas zu genehmigen), nahm er einen Umweg zum Gletscher-Inn, um sich über Sammys Fortkommen zu informieren. Der Schlittenführer hatte den Kontrollpunkt Skwentna passiert, und wie es aussah, hatte er das Sumpfgebiet hinter sich und strebte auf dem Weg nach Finger Lake den Shell Hills zu. Erfreut über das Vorwärtskommen seines Freundes, stapfte Derek die Front Street entlang zur Ankerbar. Mehrere Dutzend verkommen aussehende
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, die Gesichter vom arktischen Wind zu rotem Leder gegerbt, hockten an der schmuddeligen, L-förmigen Theke. Andere saßen tüchtig trinkend an Tischen und erzählten sich endlos lange Witze. Von Zach war nichts zu sehen. Derek sah auf die Uhr. Seit fünfzehn Jahren arbeitete Zach als Naturschutzpolizist beim Kommando D (Nord). Seine Aufgabe war es, Jagd- und Angelscheine zu kontrollieren und die Küstenwache zu unterstützen, und er brachte viele Tage damit zu, mit der Piper PA - 18 Super Cup der alaskischen Naturschutzpolizei durch sein Einsatzgebiet zu fliegen. Höchstwahrscheinlich war er aufgehalten worden. Derek war nicht beunruhigt. Seiner Erfahrung nach hatten Nordmenschen ein entspannteres Verhältnis zur Zeit als ihre Brüder im Süden. Er bestellte ein Bier und schlenderte dann zum Poolbillardtisch, wo Aileen Logan eine Kugel nach der anderen versenkte. Sie spielte gegen einen
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, der ein Schädeltattoo am Hals hatte, und sie war gut, spielte gelassen und mit ruhiger Hand, ihrem Gegner deutlich überlegen. In den paar Tagen, seit Derek in Nome war, hatte Aileen ihn stärker beeindruckt als sonst irgendjemand. Er blieb stehen und sah dem Spiel zu. Nach nur wenigen Minuten lochte Aileen die letzte Kugel ein und klatschte den Verlierer ab. Sie sah sich um, zwinkerte ein paar Fans zu, und dabei entdeckte sie Derek.
«Wie wär’s mit ’nem Freundschaftsspiel?» Sie wies auf den Pooltisch.
Er kippte den Rest von seinem Bier hinunter und trat an den Tisch. Aileen war der Typ Frau, dem man unmöglich etwas abschlagen konnte. Aus der Nähe sah er, dass ihr Gesicht von dem spinnwebartigen roten Netz einer Langzeitsäuferin durchzogen war, und er fragte sich, wieso ihm das nicht schon früher aufgefallen war.
Irgendwann nach Mitternacht verabschiedete er sich. Er hatte längst aufgehört, die konsumierten Getränke zu zählen, aber sein schwankender Gang und sein vernebeltes Denkvermögen sagten ihm, dass es etliche zu viel gewesen waren. Die Straße war verlassen. Die Eiszapfen, die von allen Dächern herabhingen, und der unter seinen Füßen
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