Zeichen im Schnee
Sie überflogen jetzt den Lake Clark Nationalpark und hielten in südöstliche Richtung auf Homer zu. Vor ihnen erstreckte sich glitzernd die gefrorene Cook-Inlet-Bucht. Zach setzte die Kopfhörer auf, suchte die Funkfrequenz des Towers von Homer und meldete sich an. Edie sah sein Gesicht ernst werden, die Nasenlöcher bebten, ein Kiefermuskel zuckte. Über den Rückspiegel warf er erst Derek einen kurzen Blick zu und sah dann lange Edie an. Bei dem Motorendröhnen klang seine Stimme blechern.
«Unten in Homer gab es einen Zwischenfall, sie haben die Küstenwache und die Polizei da. Wir werden auf dem Eis landen müssen, und ehe sie uns runterlassen, müssen wir noch ein paar Runden kreisen.» Er klang ganz ruhig, aber der Pulsschlag an seiner Schläfe verriet ihn. Es waren nur noch ein paar Wochen bis zum Eisaufbruch. Eine Landung auf dem Eis so spät in der Saison war furchtbar riskant, aber umzukehren oder die Landung auf der anderen Seite der Bucht in Seldovia zu riskieren, brächte sie meilenweit von Homer weg, und sie hätten keine Möglichkeit, in die Stadt zu gelangen. Einen Moment lang sahen sie sich an. Alle drei dachten das Gleiche.
Was zum Teufel machen wir hier überhaupt?
Eine Viertelstunde lang kreiste die Piper hoch über der Kachemakbucht, drehte über den vergletscherten Kesseln der Kenaiberge ab, flog in einer Kurve über Halibut Cove und rauf bis ans Ende der Bucht nach Razdolna. Um landen zu können, brauchten sie ein glattes Stück Eis im Kanal, das frei war von den Pressrücken, die in Küstennähe entstanden, wo Küstenfesteis auf bewegliches Packeis traf. Die Maschine zog nach unten, Zach musterte die Eisoberfläche und wartete auf die Erlaubnis, endgültig den Landeanflug zu beginnen. Als der Funkspruch kam, drehte Zach die kleine Maschine in Richtung der nadelspitzen Landzunge von Homer Spit, und sie durchflogen die unterste Wolkenschicht. Unten auf Homer Spit blinkten die Lichter der Polizei und der Küstenwache. Direkt unter ihnen lag glitzernd das Kachemakeisfeld.
Zach verschaffte sich über das Motordröhnen Gehör: «Das wird eine holprige Landung!»
Sie befanden sich jetzt parallel zum Eis, nur noch wenige Augenblicke vom Aufsetzen entfernt. Derek blinzelte wie wild, versuchte, seinen Atem unter Kontrolle zu behalten. Dann trafen die Kufen auf Eis, der Rahmen der Maschine ächzte gewaltig, und sie schlitterten mit hoher Geschwindigkeit über das Meereis. Zach drosselte den Motor, das Flugzeug bremste bebend ab, und allmählich kamen sie zum Stehen. Zach beugte sich zu Derek und schlug ihm auf den Rücken.
«Und, wie geht es unserem Flattermann?»
Derek erwiderte den Klaps mit der Sorte Fausthieb gegen die Schulter, die nicht so lustig gemeint ist, wie sie aussieht. «Gut wie nie!»
«Verstanden», sagte Zach.
Sie blieben neben dem Flugzeug stehen und warteten darauf, dass jemand sie abholen kam, und schon kurze Zeit später kam ein Schneebus der Küstenwache über das Eis auf sie zugeholpert. Ein Mann stieg aus und nahm seine Schneebrille ab. Zach stieß einen kleinen Juchzer aus.
«Chris Taluak, alter Hund! Das hat mir keiner gesagt.»
Taluak sagte: «Dann ist das jetzt eine nette Überraschung.» Lachend packte er mit beiden Händen Zachs Arm und schüttelte ihn wie wild. Er war ein Einheimischer mit verwittertem Gesicht, stacheligen Haaren und Zähnen, die aussahen wie aus einem Eisberg geschnitzt. «Das war mal ’ne Landung! Du hast echt Glück gehabt. Ein paar Minuten später, und sie hätten euch nach Soldotna oder sonst wohin geschickt. Da hinten herrscht das reine Chaos.» Er ging um den Schneebus herum, öffnete die Hecktür und ließ sie einsteigen. Dann startete Taluak den Motor, und während sie über das Eis ruckelten, erzählte er ihnen, was geschehen war.
Irgendwann kurz vor der Dämmerung, so gegen 04 Uhr 15 , war in Homer eine gecharterte Fairchild in Richtung Sitka gestartet, im Fluglogbuch als ganz normaler Frachtflug vermerkt. Zwanzig Minuten nach dem Start in Homer setzte der Pilot einen Notruf ab und meldete, nach der Kollision mit einer Schar Gänse seien die Motoren ausgefallen, sie verlören an Höhe, er wolle eine Notlandung in der Chenegabucht versuchen. Der diensthabende Fluglotse verständigte die Küstenwache, die daraufhin nach Details zur Frachtladung fragte – reine Routine, um sicherzugehen, dass kein Gefahrgut an Bord ist. Das Checkout der Maschine gab an, dass sie von Aurora Logistics geleast worden war, einem Subunternehmer von
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