Zeichen im Schnee
Augen flackerte Ungeduld auf, aber sie ging trotzdem noch mal los. Kurz darauf kam sie mit eisigem Gesichtsausdruck zurück.
«Ich habe mir eben die Mühe gemacht, alle unsere Aufzeichnungen noch einmal genau zu überprüfen, Miss Kiglatuk. Bei uns kann sich niemand daran erinnern, Sie angerufen zu haben, und auch in unseren Listen findet sich nichts, was darauf schließen ließe. Ich verstehe Ihre Sorge, aber Ihrem Fahrer geht es gut. Wie ich vorhin schon sagte, wir erwarten Sammy Inukpuk heute am frühen Abend in Kaltag. Wenn Sie möchten, melden wir uns bei Ihnen, wenn er angekommen ist. Sie können auch gerne um achtzehn Uhr wiederkommen und hier warten. Dann können Sie persönlich mit ihm sprechen, sobald er sich meldet.»
Edie versuchte, sich die Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter ins Gedächtnis zu rufen. Ein Teil von ihr fragte sich, ob sie in ihrem Zustand vielleicht etwas falsch verstanden hatte, aber jedes Mal, wenn sie die Nachricht in ihrem Gedächtnis abspulte, war sie klar und deutlich.
«Haben Sie Derek in Unalakleet erreicht?»
Caley schnaubte gereizt. «Vielleicht sollten Sie sich mal auf die Kommunikation innerhalb Ihres Teams konzentrieren, Ma’am. Mister Palliser» – sie betonte das
Mister
– «ist gestern Abend mit seinen Gastgebern rüber nach Council gefahren und sagte, er sei am späten Vormittag wieder zurück. In ein paar Minuten macht sich einer unserer Motorschlitten auf den Weg nach Council, falls Sie mitwollen.»
Edie rieb sich die Stirn und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Caley hüstelte. Sie war mit ihrer Geduld am Ende.
«Danke», sagte Edie. «Das wäre toll.»
Etwa acht Kilometer außerhalb – vorbei an der Senke, die auf die ehemalige Goldmine verwies, vorbei an der Nuklearwaffenfabrik an der Council Road, dem Überbleibsel aus dem Kalten Krieg – wandte der Fahrer den Kopf und rief: «Da vorne!»
Auf der Straße kamen ihnen zwei Schneemobile entgegen. Auf dem einen saß ein Mann, hinter ihm auf dem Sozius eine Frau mit einem Baby in ihrem
amiut
. Neben den beiden fuhr ein einzelner Mann. Edie rief dem Fahrer etwas ins Ohr, und er gab den Schneemobilen vor sich ein Zeichen. Sie verlangsamten ihre Fahrt, bis alle drei Fahrzeuge mitten auf der Fahrbahn auf gleicher Höhe zum Stehen kamen, die Motoren im Leerlauf.
Edie zog sich die Kapuze vom Kopf, und Derek warf Zach einen überraschten Blick zu, stieg von seinem Gefährt und kam, den Schnee von seinen Stiefeln stampfend, auf sie zu. In Edie brach sich eine große Woge der Erleichterung, auf der viele kleine Schaumkronen aus Zorn tanzten.
Sie bedankte sich bei ihrem Fahrer, stieg ab und stapfte auf unsicheren Beinen los, um Derek zu begrüßen.
«Edie! Was zum Teufel?» Er sah sie besorgt an.
«Das Gleiche könnte ich dich fragen!»
Derek machte ein verwirrtes Gesicht. Er hatte offensichtlich keine Ahnung, was sie meinte.
«Zach hatte ein bisschen Zeit, und wir sind nach Council gefahren, um Freunde zu besuchen. Wir wollten eigentlich zum Mittagessen bleiben, aber dann wurde Zach angefunkt. Jemand hat direkt außerhalb von Nome ein totes Moschusochsenkalb gefunden. Und jede Menge Blut. Sieht aus, als wäre es aus dem Mutterleib geschnitten worden. Wahrscheinlich treiben sich da draußen ein paar Jäger rum, die ohne Genehmigung außerhalb der Saison schießen. Was ist denn eigentlich los? Was machst du hier?»
Als sie ihm von der Nachricht erzählte, sah er noch verwirrter drein. «Hier liegt irgendwie ein Missverständnis vor. Ich habe den Leuten bei der Rennleitung gesagt, wo ich bin, und ihnen eine Nummer hinterlassen. Mich hat niemand angerufen.»
Der Fahrer hupte, weil er weiterwollte.
Derek bedeutete ihm mit einem Winken, er könne los. Dann schlug er vor, direkt zu Zach nach Hause zu fahren um herauszufinden, was die ganze Sache zu bedeuten hatte.
Megan entdeckte die Wunde als Erste. Sie saßen im Wohnzimmer und wärmten sich mit süßem Tee. Während Megan Edies Kopf mit Robbenöl versorgte, erzählte Edie ihnen, was mit ihr passiert war. Derek hörte zu, und sein Gesicht zeugte von einer Mischung aus Sorge und Wut.
«Edie, du bist verrückt, weißt du das? Egal, ob Galloway diese Kinder umgebracht hat oder nicht, er ist ein verzweifelter Mann!»
«Ach, was du nicht sagst!»
Derek warf ihr einen wütenden Blick zu. Er war ihre Risikofreude gewohnt. Er hatte ihr im letzten Jahr, nachdem sie auf eigene Faust nach Grönland geflogen war, um ein paar zwielichtige Geologen zur Rede zu
Weitere Kostenlose Bücher