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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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demonstrierst du ja geradezu, dass du keinen Wert auf Anstand legst. Und ich dachte immer, dass du es zu etwas bringen könntest.«
    Sein Atem roch sauer. Aber wahrscheinlich war es ihr eigener Atem, der nur an ihm zurückprallte.
    »Wo warst du gestern? Und warum warst du nicht in der Schule? Ich habe mir Sorgen gemacht.« Seine Hand glitt über ihre Haare. »Klebrig.« Er verzog den Mund. »Und warum antwortest du nicht auf meine SMS ?« Sein Gesicht war jetzt direkt vor ihrem, und seine Lippen wirkten hart, so hart, wie sie auch küssten. »Und warum gehst du nicht an dein Telefon?«
    »Ich … ich …«
    Er stand auf.
    Nessy zog die Beine bis zur Brust hoch.
    »Wo?« Ein kurzer Schrei. Dann lächelte er.
    Sie kauerte sich in die Ecke des Bettes, glaubte, dass jede Faser ihres Körpers bebte.
    »Du warst bei ihm.« Er klang ganz ruhig. Doch an seinem Hals trat ein Muskelstrang hervor, als er sich zu ihr beugte, ihr Kinn packte und ihren Kopf nach oben bog, so dass sie ihn ansehen musste. »Bei dem Schlappschwanz!«, presste er hervor.
    Sie versuchte, den Kopf zu schütteln, doch seine Hand hielt sie wie eine Klammer aus Stahl fest. »Nein«, flüsterte sie. »Wie … Woher sollte ich denn wissen, wo Marius … Ich könnte doch gar nicht …«
    Der Schlag traf sie unter dem linken Auge. Eine kleine Explosion. Ihr Kopf knallte gegen die Wand. Sie wimmerte.
    Torben biss auf seinen Fingernägeln herum, als schmerze ihn und nicht sie der Schlag, und für einige Augenblicke war nichts zu hören als das leise Knacken, dann spuckte er etwas aus, während Nessys Wange pulsierte und etwas Warmes auf ihr Kinn hinablief. Sie drückte sich noch dichter in die Ecke, starrte auf Torbens Bürstenfrisur und wünschte sich, Marius’ seidiges Haar zwischen ihren Fingern zu spüren. Sah in Torbens kalte Augen und sehnte sich nach der Wärme in Marius’ Blick.
    »Hörst du keine Nachrichten?« Sein Kiefer mahlte, und seine Lippen waren zusammengepresst. Eine Sekunde wunderte Nessy sich, dass sie zu solchen Wahrnehmungen noch fähig war. Es ist die Angst, schoss es ihr durch den Kopf. Die Verdrängung. Damit das, was passiert ist, mich nicht begraben kann. Und damit ich die nächsten Minuten überlebe. Minuten, die ich zu gut kenne.
    Mit einem Ruck riss er die Decke vom Bett. »Oder
liest
du keine Nachrichten?«
    Er hatte den Laptop längst entdeckt, auch die Wollmütze. Er musste vorhin ja fast darauf gesessen haben.
    Mit spitzen Fingern nahm er die Mütze auf und ließ sie in den Papierkorb fallen. Dann setzte er sich mit dem Computer an ihren Schreibtisch. »Das gute Stück kenne ich ja gar nicht. Seit wann hast du den denn?« Er öffnete ihn. »Wie geht es Marius?«
    Sie verstand nicht, was er meinte. Marius war doch tot! Sie mussten ihn längst gefunden haben! Doch bevor sie weiter nachdenken konnte, erfüllte Torbens keuchendes Atmen das Zimmer. »So ist das also.« Sein Gesicht war direkt vor dem Monitor, sie sah ihn im Profil, und das weißblaue Licht flimmerte um seine gerade Nase und den leichten Überbiss. »Bist du gleich zu ihm gekrochen? Zu deinem Lover?« Sie sah, wie seine Augen sich über die Zeilen bewegten, die Zeilen, die Marius geschrieben hatte. An sie. Auf ihrem eigenen PC hatte Nessy alle seine E-Mails sofort gelöscht. Weil Torben dort ab und zu hineingesehen hatte. Auf Marius’ Laptop war alles noch gespeichert.
    »Habt ihr’s in der Klinik getrieben?«
    »Kli… Klinik?«
Marius war tot!
Sie hatte doch selbst … Die zähe Flüssigkeit lief warm in ihren Mundwinkel. Sie schmeckte Blut, als sie darüber leckte.
    »Warst du dort?«
    »Nein!« Sie war in ihrem Zimmer gewesen, hatte gekotzt, seit sie vorletzte Nacht in die grellen Scheinwerfer gestarrt und geschrien hatte, seit der dumpfe Schlag und ein Knacken wie von morschem Holz ihr Herz zerrissen hatten und sie dann neben dem leblosen Marius gekniet war, die Arme um ihn geschlungen, ihr Gesicht an seines gepresst, halb in diesem Graben. Sie hatte geschluchzt und gebetet, bis ihre Tränen sich mit dem Blut in seinem Haar vermischt hatten, bis sie schließlich getrocknet, seine Augen trüb und seine Haut kalt waren. Wie sie nach Hause gekommen war, wusste sie nicht. Nur, dass sie seine Mütze mitgenommen hatte und seinen Schlüsselbund. Und dass sie im Morgengrauen angefangen hatte zu erbrechen, sich an der Kloschüssel festgeklammert hatte, stundenlang, bis ihr Vater wütend an die Tür hämmerte, weil er pinkeln musste. Den ganzen Sonntag war es so

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