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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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umgeschlagen war. Dass es zuerst nur ein Spiel für sie war, sich für das Elitesöhnchen ordinär anzuziehen, seinen Abgründen zu dienen, seiner Phantasie, Nutten zu vergewaltigen. Aber bald schon dominierten Schmerz und Qual und Angst. Marius hatte gesagt, er rette sie. Er sei einfach nur glücklich mit ihr. Sie hatten ein gemeinsames Leben geplant und zusammengehalten. Nessy hatte Marius geholfen, Torbens Schikanen zu verkraften, und Marius hatte Nessy geholfen, seine brutalen Schläge einzustecken.
    »Weißt du noch, Vanessa«, sagte Torben jetzt und betonte ihren Rufnamen, und sie schrak auf, »wie du den Rucksack von diesem Schlappschwanz im Mädchenklo versteckt hast? Wie ich ihm das geflüstert hab und er da rein ist zu den Zehn- und Elfjährigen? Wie die drinnen gekreischt und wir uns vor Lachen fast in die Hosen gepisst haben? Wir waren ein tolles Team, du und ich.«
    Sie schloss kurz die Augen, sie schämte sich so sehr, dass sie sterben wollte. Mit Torben und Konstantin hatte sie Marius den Schulalltag zur Hölle gemacht. Tag für Tag. Genau geplant und immer eine Stufe härter. In den letzten Herbstferien sollte sie ihm auflauern und die Reifen seines Autos zerstechen. Sie war mit dem Mofa zu dem Supermarkt am Eck gefahren, wo er oft herumhing. War ja nicht weit.
    Er hatte mit seiner Schwester vor dem Café gestanden, hatte ihr über den Kopf gestrichen, und gemeinsam hatten sie abwechselnd von einer Quarkschnecke abgebissen. Die Kleine hatte gelacht, irgendetwas geplappert und zu ihm aufgesehen, ihr Pferdeschwanz hatte gewippt, in ihrem Mundwinkel klebten Krümel. Dann hatte sie Nessy entdeckt und ihr zugewunken. »Marius, da ist eine aus der Schule«, hatte sie gerufen, und Nessy hatte zögerlich die Hand gehoben, gelächelt und innerlich geweint vor Scham. Rebecca war zu ihr gerannt und hatte ihr ein Stück Quarkschnecke angeboten. Sie war so ausgelassen und unbeschwert. »Hallo«, hatte Nessy zu Marius gesagt und ihre Finger fest um das Klappmesser in ihrer Hosentasche geschlossen. Noch bevor sie wusste, was mit ihr geschah, sprudelten wirre Worte der Entschuldigung aus ihrem Mund. Für das Ignorieren, für Facebook und StudiVZ und für den Rucksack im Klo. Marius hatte genickt. »Ich weiß, dass du kein schlechter Mensch bist. Du … du gefällst mir schon so lange.«
    »Ein Team mit dir – das ist ein halbes Leben her«, flüsterte sie jetzt, doch Torben las weiter.
    In den Wochen nach dem Treffen beim Supermarkt hatten sie viel geredet, sich berührt, geliebt, sich manchmal nur im Arm gehalten und überlegt, wie sie Torben auffliegen lassen konnten. Sie hatte dem Anwaltssohn gegenüber so getan, als mache ihr das Mobbing keinen Spaß mehr. Doch je mehr sie sich zurückzog, desto brutaler war Torben geworden – und desto größer ihre Liebe zu dem schüchternen Jungen. Bis dieser Tag kam, an dem sie Marius zum ersten Mal wütend gesehen hatte. Nein, nicht wütend, sondern voller Zorn. Unbändigem Zorn. Nicht an ihr hatte er ihn ausgelassen, sondern auf ihr Bett eingeschlagen und gebrüllt wie ein verletztes Tier, sie hatte in der Ecke gestanden, die Arme an die Seiten gepresst, bis er lautlos zusammengesunken war. Da war sie zögerlich zu ihm gegangen, hatte ihm über den knochigen, schmalen Rücken gestrichen. Er hatte sie gepackt und auf das Bett gezerrt, ihr die Bluse heruntergerissen und war über sie hergefallen. Sie hatte sich nicht gewehrt, und hinterher hatte er geweint und sich entschuldigt. »Was hast du?«, hatte sie geflüstert, und er hatte mit rauher Stimme geantwortet: »Günther Assmann ist nicht mein Vater.« Erst später hatte sie erkannt, dass es kein Zorn war, was ihn seit diesem Tag immer mehr veränderte, sondern Verzweiflung.
    »Habe ich es doch gewusst!« Torbens leicht vibrierende Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Du hattest was mit dem Schlappschwanz.« Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter vor dem Monitor. »Du bist tatsächlich auf seine billige Anmache eingegangen.« Plötzlich lachte er auf, lehnte sich zurück, las kurz weiter, lachte wieder, bis er fast wieherte.
    Nessy schlang die Arme um ihren Oberkörper, ihr wurde kalt, ihre Wange pulsierte heiß an der Stelle, an der Torbens Faust sie getroffen hatte.
    »Ihr habt es echt nicht kapiert.«
    »Was?«, fragte sie voller Angst.
    »Kuckuck, Kuckuck«, ahmte er den Tonfall des Vogels nach.
    Torbens Lachen wurde leiser, nicht wirklich, aber in ihrem Kopf, und sie sah Marius vor sich, wie er ein paar Tage nach

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