Zeig mir den Tod
der Sache mit dem falschen Vater hier am Fenster gestanden und in den verwilderten Garten geblickt hatte. Draußen dämmerte es, Nessy stand schräg hinter ihm, etwa zwei Meter entfernt, wagte es nicht, ihn zu berühren. Im Zimmer brannte nur eine Kerze, und sein Gesicht spiegelte sich in der Scheibe. Die Augen hinter der Brille sah sie nur verwaschen, und sein Mund bewegte sich verzerrt in der Scheibe, als er sagte: »Ich wollte vorhin mit dem Alten reden. Er hat mich gefragt, ob es um meine Ausbildung als Schauspieler ginge. Ich hab nein gesagt. Weißt du, was er da geantwortet hat?« Kurz drehte Marius sich zu Nessy. »›Komm wieder, wenn du Pläne hast. Und jetzt lass mich meinen Text lernen.‹ Ich bin stehen geblieben. Hab ihn gefragt, ob er mir nichts zu sagen habe. Und er hat gesagt, ›nein, und jetzt geh bitte, ich brauche Ruhe‹.« Marius nahm die Brille ab und schloss die Augen. Zwischen seinen Lidern quollen Tränen hervor, die Tropfen hingen kurz an den langen Wimpern und fielen dann auf sein Gesicht. Erst da hatte Nessy ihn in den Arm genommen und lange festgehalten. In dieser Nacht hatten sie ihren Plan geschmiedet.
»Kuckuck? Was … Was meinst du?«
»Dass das
meine
Idee war.«
Es dauerte einige Sekunden, bis sie erfasste, was Torben ihr da mitgeteilt hatte. Sie rutschte aus der Ecke hervor. »
Deine
Idee?« Marius hatte von irgendwelchen Papieren in seinem Elternhaus geredet, die er zufällig gefunden hätte. In denen als Vater »unbekannt« eingetragen war. Sie hatte nicht nachgefragt, was für Papiere.
»Na klar. Ist bloß schiefgegangen. Ich dachte, er lässt dich in Ruhe, wenn ich ihm was Wichtigeres zum Denken gebe. Etwas eigenes.« Er nickte zum Monitor hin. »Stattdessen kriecht er zu dir und bettelt um Hilfe. Memme. Ich hab ihm so ganz im Vertrauen erzählt, dass da was über den Schreibtisch meines Vaters gelaufen sei. Dass ich das zufällig mitbekommen habe. Und dass er mal vergleichen solle. Sein Gesicht und das seines Alten. Seine Milchbubinase. Das leichte Schielen und die Kurzsichtigkeit. Der Schlappschwanz kann keinen einzigen Satz richtig formulieren. Und das als Sohn eines Schauspielers?« Er lachte. »War nicht schwer, ihm das beizubringen.«
»Du mieses Schwein«, flüsterte sie und schob sich bis zur Bettkante. Warum hatte Marius sich ihr nicht anvertraut? War seine Scham so groß gewesen? Und jetzt sollte seine ganze Qual umsonst gewesen sein? Günther Assmann
war
der leibliche Vater? »Es hat dir nicht gereicht, ihn monatelang zu quälen. Du musstest demjenigen das Leben zerstören, der am schwächsten ist.«
Mit drei Schritten war er bei ihr, legte den Zeigefinger unter ihr Kinn, und seine kalten Augen schienen sie blenden zu wollen. »Noch ein Wort, und du stehst heute nicht mehr von diesem Bett auf.« Er schlüpfte in seine Jacke und klemmte Aktentasche und Laptop unter den Arm. »Schön, dass ihr euch so viel geschrieben habt. Sogar über euer Liebesnest und über mich. Wartet er dort auf dich, ja? Ihr haltet mich alle für blöd, oder? Du und die Bullen mit dieser idiotischen Masche, Marius sei gefunden und läge in der Uniklinik. Als ob der Entführer« – er betonte jede Silbe des letzten Wortes und grinste – »so blöd wäre, direkt dorthin und den Bullen in die Arme zu rennen!« Torben ließ das Klappmesser in seiner Tasche klacken.
Nessy kannte das Geräusch, und kurz wurde ihr schwindelig.
»Der Laptop sollte nicht in die Hände der Polizei gelangen. Den nehme ich lieber mit. Steht einfach zu viel über uns drin. Und die da« – er ließ Nessys und Marius’ Schlüsselbunde in seine Jackentasche gleiten – »gehen auch mit. Wird schon der richtige dabei sein. Und jetzt kümmere ich mich um deinen Lover und die zarte Zuckermaus. Nicht gut, wenn man es mit meiner Freundin treibt.« Zuletzt raunte er: »Wir wären wirklich ein gutes Team gewesen, du und ich. So viel kriminelle Energie! Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Puppe.«
Nessy fühlte das Brennen auf ihrer Wange, als er hinausging. Sie lauschte auf seine Schritte, die mit jeder knarrenden Stufe leiser wurden, dachte an Rebecca, die da draußen sterben würde, und an ihren Besuch bei der verheulten Mutter in der Luxusküche. Bei der Frau mit dem vielen Geld und den wenigen Freunden, die ihr so leid- tat. Damals hatte Nessy noch geglaubt, alles würde gut werden.
Sie würgte, als Torben sich, ganz Anwaltssohn, zuvorkommend von ihrem Vater verabschiedete: »Ich muss leider gehen, Herr Sigismund.
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