Zeig mir den Tod
sie aktiv beteiligt war, konnte Ehrlinspiel sich nicht vorstellen. Eher, dass Marius auch sie getäuscht hatte. Was bedeutete, dass sie durchaus noch gefangen sein konnte. Und niemand wusste, wo.
Er schlug auf den Wasserhahn. »Scheiße!«
Bugatti schlich um die Ecke und raunzte.
Eigentlich hätte er den Abstecher in seine Wohnung nicht machen dürfen. Es war nach sechs Uhr, und er sah Frank Lederle vor sich, der mit der Oberstaatsanwältin Lorena Stein bereits in der Polizeidirektion auf ihn wartete und sich rastlos über den kahlen Schädel strich. Doch er, Moritz, war wie ein Getriebener nach Hause gerast, um zu sehen, ob seine große Liebe und sein Kater Bentley da waren.
Er hastete das Treppenhaus wieder hinunter, die Kehle eng und das Handy am Ohr. »Frank? Ich bin gleich da, sag Lorena –«
»Beeil dich. Sie ist stinksauer. Dieser Mr. Hair war in der Uniklinik und hat herausgefunden, dass Marius nie dort war«, sagte Frank, während Ehrlinspiel immer zwei Stufen auf einmal nahm, vorbei an den großen Palmen, die seine Nachbarin im Treppenhaus verteilt hatte, vorbei an den bunten Fensterchen mit den stilisierten Blumenmustern, die heute glanzlos waren, aber bei Sonnenschein wunderschön leuchteten. »Der kleine Schleimscheißer hat tatsächlich bei Lorena angerufen und sich erkundigt, was dahintersteckt.«
»Ich glaub das nicht!«
»Aber noch etwas ganz anderes.«
»Was?« Er zog die schwere Eingangstür auf, hielt sich mit der freien Hand die Umhängetasche gegen den Regen über den Kopf und rannte den Gartenweg entlang zu seinem Dienstwagen.
»Vor ein paar Stunden ist ein interessanter Anruf beim anonymen Hinweistelefon eingegangen. Eine Frau hat Günther Assmann heute Vormittag bei den Bergers gesehen. Eine Tierbesitzerin. Berger ist doch Tierheilpraktiker. Die Anruferin hat gehört, wie Assmann und Berger sich über Annika unterhalten haben.«
»Über Annika? Erzähl weiter!« Er stellte das Handy in die Freisprechanlage und fuhr los. Die Scheibenwischer schoben mit monotonem Knacken die Wassermassen über die Windschutzscheibe.
»Angeblich hat Uwe Berger gesagt, es sei Assmann nicht unrecht gewesen, dass Annika damals nicht gefunden wurde und dass das Kind schnell vergessen war.«
»Das gibt’s doch nicht! Verflucht, Frank, wir müssen Assmann finden! Und diesen Berger auseinandernehmen. Da scheint mehr dahinterzustecken.«
»Jo ist schon unterwegs zu den Bergers. Er kennt die beiden ja noch von früher.«
»Deine Kondition will ich haben.« Professor Reinhard Larsson saß auf Ehrlinspiels Bürostuhl, die Beine auf ein Beistelltischchen gelegt, und musterte ihn mit seinem typischen süffisanten Grinsen. »Ermitteln auf Hochtouren und gleichzeitig der Liebe frönen.«
»Bist du neuerdings mein Vorgesetzter?« Er deutete auf Larssons Beine. »Runter.«
»Du bist zerzaust, Moritz.«
»Was machst du hier?«
Der Rechtsmediziner seufzte und stand auf. »Seht ihr« – er wandte sich an die anderen Kollegen, Paul Freitag, Frank Lederle und die Oberstaatsanwältin Lorena Stein standen hinter Freitags Schreibtisch –, »da will man einmal nett sein und seinem Ruf als arrogantem Sarkast den Garaus machen …« Er hob die Arme. »Vergebens.«
Nett ist die kleine Schwester von scheiße, hatte neulich ein Halbstarker in der Cafébar zu Idris gesagt. Stimmt, dachte Ehrlinspiel.
»Die DNA -Ergebnisse sind da«, sagte Freitag. »Günther Assmann ist der leibliche Vater von Marius. Von Rebecca auch.«
»Irrtum ausgeschlossen?«
»Neunundneunzig Komma neun Prozent Sicherheit.« Larsson schob sich die Brille auf die Nase. »Eurem Torben gehört der Arsch poliert. Außerdem hat sich bestätigt, dass Fremdfasern an Marius’ Jacke klebten. Und« – er verbeugte sich und ging zur Tür – »Haare, die identisch sind mit denen, die die Kriminaltechniker vorhin samt dem Helm geschickt haben. Blond wie Judiths. Aber kürzer. Und gefärbt. Wünsche erfolgreiches Beratschlagen, die Herren. Und die Dame.«
Die Tür fiel zu.
Lorena Stein, Freitag und Frank blickten Ehrlinspiel an, als erwarteten sie eine Erklärung. Die beiden Männer waren an dem Abend, als die Sache mit Judith passiert war, dabei gewesen. Ihnen war garantiert nicht entgangen, dass er mit der Wirtschaftskriminalistin geflirtet hatte. Gesagt hatte nie einer etwas. »Reinhard hatte in der Polizeidirektion zu tun«, sagte Freitag, und Ehrlinspiel war froh, dass sein Freund das Gespräch wieder auf die sachliche Ebene lenkte. »Untersuchung
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