Zeig mir den Tod
eines Gewaltopfers. Da kam er gleich mit den Ergebnissen vorbei.«
Lorena Stein trat mit so geschmeidigen Bewegungen in die Mitte des Zimmers, als wolle sie ihr graues Kostüm auf dem Catwalk vorführen. »Schluss jetzt, keine Animositäten. Der Junge ist tot und hat mit großer Sicherheit die ganze Entführung nur fingiert. Aber das Mädchen ist immer noch verschwunden und schwerkrank. Der Vater ist abgehauen und verdächtig in Sachen Annika.« Ihr violetter Seidenschal passte perfekt zu ihrem grauroten, gelockten Haar. Ihre sechsundfünfzig Jahre sah man ihr nicht an. Auch nicht, dass sie ihren einzigen Sohn verloren und selbst eine schwere Herzoperation hinter sich hatte. Schön, klug und sexy waren die Attribute, die ihr von Männerseite zuteilwurden. Einlassen wollte sich keiner mit ihr. Zu stark, zu dominant. »Euch ist doch hoffentlich klar, dass wir unter enormem Druck stehen. Und ihr habt nichts Besseres zu tun, als hinter meinem Rücken eine verdammte Lügennummer aufzuziehen! Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass der Presse so etwas entgeht! Was ihr unternehmt, habt ihr mit mir abzusprechen. Oder mich zumindest davon in Kenntnis zu setzen.« Sie zeigte nacheinander auf die drei Männer, die silbernen Reife an ihrem Arm klimperten. »Ist das klar?«
Sie nickten.
»Morgen früh habt ihr Assmann. Und die Kleine. Lebend! Um neun Uhr liegt der Bericht auf meinem Tisch!« Und schon war sie zur Tür hinausgerauscht.
»Scheiße.« Lederle sank auf einen Besucherstuhl. »Wie stellt die sich das vor?«
»Lorena macht nur ihren Job, und den macht sie gut.« Moritz fühlte sich plötzlich so hilflos wie an dem Tag, als Lorenas Sohn gestorben war. Peter war fast so alt gewesen wie Marius. Im Frühling würde Moritz wieder Blumen auf Peters Grab bringen. »Lorena weiß, dass wir alles tun, was in unserer Macht steht.«
»Assmann ist zur Fahndung ausgeschrieben. Die Suchmannschaft bei Breisach wurde verstärkt.« Frank stützte die Arme auf den Schreibtisch. »Alle unsere Leute sind unterwegs. Edgar schickt in der nächsten Stunde eine Pressemeldung an die Medien, dass Marius verstorben ist.«
»Sieht für die Öffentlichkeit dann nach Tod in der Uniklinik aus.«
»Mhm. Ist auch niemand dort aufgekreuzt. Wer auch, wenn Marius selbst der Täter war.«
»Der Helm mit den Haaren«, sagte Freitag, »das ist kein Zufall. Da war jemand bei ihm.«
»Vermutlich hat jemand, wohl eine Frau, Marius gesehen, festgestellt, er ist tot, und wollte nichts damit zu tun haben«, antwortete Frank.
»Oder es war doch noch jemand eingeweiht.« Blonde Haare, Mofa. Das war kein Erwachsener. »Vanessa Sigismund!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Sie war heute nicht in der Schule! Weil sie ihren toten Kumpel gesehen hat. Sie hat rausgefunden, dass er selbst dahintersteckt. Und auch, wo die Geschwister sind!« Der Hauptkommissar war aufgeregt. Jetzt hatten sie die Spur! »Nur pro forma«, fragte er Frank, »war Torben Tretter heute hier? Wir hatten ihn für vierzehn Uhr vorgeladen.«
»Jepp. Er hat seine Aussage exakt wiederholt und das Protokoll unterschrieben. Sein Alter hat ihm garantiert gesteckt, dass Mobbing nicht strafbar ist. Und wegen der Folgen seines Lügens können wir ihm nichts anhaben.«
»Hat er Vanessa noch einmal erwähnt?«
»Er hat sie beschuldigt, die Aktive bei dem Mobbing gewesen zu sein.
Sie
habe Marius fertigmachen wollen. Habe ihm nachspioniert.«
»Na warte, Nessy! Los, Freitag, wir fahren zu ihr.« Er sprang auf. »Wisst ihr, manchmal hasse ich es, dass man Leute für systematische Schikane und Erniedrigungen nicht bestrafen kann. Es zerstört so viel.«
Auf dem Flur lief er direkt in einen riesigen, stämmigen Mann mit wettergegerbtem Gesicht und in blauer Arbeiterjacke hinein. Der Geruch von Ehrlinspiels Kindheit auf dem Land, Gras, Stroh und Kühe, begleitete den Mann. »Entschuldigung, ich möchte zu einem Herrn Ehrlinspiel oder Lederle. Es geht um Marius Assmann.« Der Mann nickte. »Ich bin so froh, dass er lebt.«
»Ja? Ich bin Hauptkommissar Ehrlinspiel.«
Der Mann drehte eine Mütze in den Händen.
»Um was geht es denn?«
»Es tut mir so leid. Ich war … ich stand unter Schock. Da bin ich einfach abgehauen.«
»Wo abgehauen?«
»Ich bin der Rüdiger Jost aus Gündlingen. Hören Sie, ich hab drei Kinder zu Haus. Da konnt ich doch kein Mörder sein! Aber jetzt, jetzt ist ja alles gut.«
»Sie haben Marius Assmann angefahren.«
Jost nickte mehrmals. »Ich habe ihn im
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