Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
Vom Netzwerk:
zurück, aus dem er gerade kam.
    Anna Assmann, die Mutter von Günther, hatte lächelnd in der Cafeteria gesessen, die knochigen Hände um die Lehnen des Rollstuhls geklammert. Wie Butterbrotpapier sah ihre Haut aus, auch im Gesicht. Sie strahlte ihn an, nickte unentwegt, summte zu dem Stöhnen und Nuscheln all der Alten, die allein oder in Gruppen um die Tische herumsaßen. Sogar hier war der Boden mit Teppich ausgelegt, hellbraun, und die Wände waren in einem kaffeebraunen Ton gestrichen. Anna Assmanns Atem ging rasselnd, und Ehrlinspiel dachte, dass sie den Geruch nach süßlichem Puder und Sahne sicher kaum mehr wahrnahm, zumal sie den Kriminalhauptkommissar abwechselnd mit den beiden Sätzen »Günni, mein Junge« und »Nein, Karl, ich lasse mich scheiden, auch wenn du noch tagelang hier sitzt und um Verzeihung bettelst!« bedachte. Endlich, als Ehrlinspiel zum fünften Mal nach Marius und dessen Anruf fragte, blitzten ihre verwaschenen Augen plötzlich wie Bergkristalle. Mit einem kurzen Quietschen schob sie den Rollstuhl ein Stück zurück, bis der Teppich sie stoppte, kicherte und summte »Marius, Marius«, während die linke Hand in der Luft dirigierte. Plötzlich hielt sie inne, klammerte beide Hände wieder um die Rollstuhllehnen und rief mit einem fast metallischen Klang: »Ich hab dir schon immer gesagt, dass sie nur Unglück bringt!« Dann sackte sie in sich zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden durchschnitten hatte, und schwieg.
    Ob Anna Assmann mit dem letzten Satz auf Günther und Lene abgezielt hatte oder auf ihren verstorbenen Mann Karl – der ihr offenbar Anlass zur Trennung gegeben hatte –, fand Ehrlinspiel nicht heraus. Auch nicht, weshalb Marius bei ihr angerufen und fünfzig Minuten mit ihr gesprochen hatte. Eine Pflegerin des Heims erklärte ihm, dass Anna Assmann für ihr Leben gern telefonierte, aber auch da nur wirr und von alten Zeiten redete. Günther Assmann besuchte sie ab und zu, aber immer nur kurz, nach zehn Minuten war er stets wieder weg. »Pflichterfüllung«, hatte die schwarzhaarige ältere Frau zu ihm gesagt, und er hatte an die Alten- WG seiner Eltern gedacht und daran, dass seine Besuche dort sich über mehrere, meist fröhliche Stunden erstreckten. Auch Marius habe seine Großmutter besucht. Ein- bis zweimal pro Woche, solange sie noch fitter und einigermaßen klar im Kopf gewesen sei. Manchmal habe er seine kleine Schwester dabeigehabt. »Rührend, der Junge«, sagte die Pflegerin, schenkte Ehrlinspiel entschuldigend eine Tasse Filterkaffee ein und bot Kondensmilch dazu an. »Die Alten lieben dieses Gebräu. Mich können Sie damit jagen.« Er lachte. »Mich auch.« Sie sah auf den vermutlich frisch gemähten Rasen hinaus. »Die Kleine hat immer Leben in die Bude gebracht. Warum kommen die Kinder nicht mehr? Geht es ihnen gut?« Er erklärte ihr die Situation und erzählte, was mittlerweile auch an die Presse gegangen war: dass die Kinder entführt, über die Bedingungen der Freilassung aber aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angaben gemacht wurden. Und dass jeder Hinweis aus der Bevölkerung wichtig sein konnte. Klischee, hatte er gedacht. Aber eines, das oft entscheidende Spuren bringt. »Wann war Marius denn zuletzt hier?«, war seine abschließende Frage gewesen, und er hatte erfahren, dass er seit Ende August letzten Jahres erst seltener gekommen und dann, seit etwa November, ganz ausgeblieben war.
    Knapp acht Monate. Irgendetwas musste da mit dem Jungen passiert sein. Schlechte Noten, Rückzug zu Hause, keine Besuche mehr bei der Großmutter. Hatte er bei ihr etwas herausfinden wollen? Etwas über die Familie? Seinen Vater?
    »Der Kuckuck«, sagte Ehrlinspiel jetzt zu Assmann in die Freisprechanlage, »soll wohl heißen, dass Sie nicht Marius’ Vater sind.«
    Assmann lachte auf. Dann war es still. Fast zu still.
    Krenz sagte: »Moritz, wir haben einen Mantrailer angefordert. Seine Männer sind unterwegs zur Straßenbahn-Haltestelle Lorettostraße. Wir suchen mit dem Hund alles ab. Ein Kollege hat vorhin Kleidung der Kinder hier abgeholt.«
    »Bin schon unterwegs. Ach, Jo« – Ehrlinspiel drehte den Zündschlüssel um –, »geh doch auch noch einmal in die Badezimmer der Eltern und Kinder.« Er fuhr aus dem Tunnel hinaus in das helle Nachmittagslicht.

    Der Hundeführer gab den Kommissaren die Hand. Aufgeregt hob das große braune Tier die Schnauze. Sie glänzte in der Sonne.
    »Die Handyortung ist durch«, sagte Freitag, während der Hund die

Weitere Kostenlose Bücher