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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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meine Mädchen.« Paul Freitag sah Assmann an, freundlich, vertrauenerweckend, aber auch voller Sorge. »Ich liebe meine Rabauken, auch wenn sie mich manchmal ärgern bis aufs Blut, sich ständig streiten oder krank sind. Und auch ich kann nicht immer für sie da sein, wenn ich es müsste.« Er strich über seine Krawatte. »Ich verstehe nicht, wie Sie so eine Distanz zu Ihren Sprösslingen zeigen können. Erklären Sie es uns?«
    »Aha, die Gretchenfrage. Wie passend.« Assmann warf das Papiertaschentuch in einen Mülleimer unter dem Tisch. »Ich … ich kann es nicht erklären.«
    »Sie sind doch ein mitfühlendes Wesen«, sagte Ehrlinspiel. »Zwei Leben können Ihnen wohl nicht gleichgültig sein.«
    »Natürlich nicht«, flüsterte er. »Es ist nur … Das wäre das Ende all dessen, was ich seit Jahren aufgebaut habe.«
    »Es ist so oder so das Ende Ihrer Karriere. Sie sind ein Mann der Öffentlichkeit. Jeder weiß, dass Ihre Kinder Opfer einer Entführung wurden und dass Rebecca lebenswichtige Medikamente braucht. Das Geheimnis ist keines mehr. Glauben Sie im Ernst, die Leute applaudieren, wenn Sie auf der Bühne stehen und Goethe zitieren, statt um das Leben Ihrer Kinder zu kämpfen? Es wird herauskommen, dass das Schicksal von Marius und Rebecca mit Ihrem Auftritt morgen Abend besiegelt ist, darauf können Sie Goethes Hexentrunk nehmen!«
    Assmann schwieg lange. Seine Schultern hingen herab. Dann blickte er auf. Seine Augen waren gerötet, doch Ehrlinspiel wusste nicht, ob vom Abschminken oder von unterdrückten Tränen, und wenn Letzteres, ob vor heimlicher Angst um die Kinder oder vor Wut. »Lene hat mich betrogen.«
    »Das mutmaßen Sie. Ich glaube es nicht, so wie ich Ihre Frau kennengelernt habe. Und wenn schon: Tagtäglich betrügen Tausende Leute ihre Partner. Das ist kein Grund, andere dafür leiden oder sogar sterben zu lassen!«
    »Ich kann nicht in das Haus zu Lene«, sagte Assmann.
    »Dann bleiben wir hier.«
    »Wir?«
    »Sie und ich und ein Kollege, den ich anfordern werde. Herr Freitag möchte nämlich nach Hause zu seinen Kindern.«

[home]
    18
    Samstag, zur gleichen Zeit
    A lles ist schwarz. Sie weiß, dass der Gaskocher brennt, Marius hat es ihr gesagt. Aber Marius ist weit weg. Tausend Kilometer ungefähr. Genauso weit weg wie das Kratzen der Krähen oder Raben auf dem Dach. Oder waren es Möwen?
    Vielleicht ist ja auch sie selbst weit weg. Vielleicht ist sie schon im Himmel oder auf dem Weg dorthin. Becci ist sich nicht sicher. Auf jeden Fall liegt sie weich. Aber wahrscheinlich ist sie noch in dem Versteck, wo die Gendarmen sie eingesperrt haben. Denn den Himmel stellt sie sich schöner vor, hell und mit brombeerfarbenen und helllila Wolken, auf denen flauschige Mäuse wohnen und um die viele bunte Vögel fliegen. Und bestimmt stinkt es im Himmel nicht nach Kot und Pisse, und außerdem tut da ihre Brust nicht so weh und der Bauch auch nicht, und sie hat nicht so einen schrecklichen Durst.
    Vorhin ist sie mal im Himmel gewesen, als das Licht zur Tür hereingeflutet ist. Aber dann ist sie abgestürzt, weil Marius sie auf die Wangen geschlagen hat. Es hat nicht weh getan, aber sie ist trotzdem böse geworden, denn es war so schön da oben, und jetzt wollte er, dass sie Wasser trank. So ein Quatsch, sie hatte da oben, wo alles so leicht und sonnig war, doch gar keinen Durst gespürt, nicht mal auf Cola. Sie hat versucht, die Augen aufzumachen, und in der ganzen Zeit hat sie dauernd Marius reden hören, während er ihr wieder und wieder auf die Wangen geschlagen hat. Er hat auch ihren Namen gesagt und »Zuckermaus« gerufen, aber es hat geklungen, als sei er am Meer und hielte den Kopf unter Wasser, wie damals, als sie im Meer geschnorchelt und sich um die große Muschel gestritten haben. Und es hat auch alles geschwankt wie in einem Boot, das von hohen Wellen geschaukelt wird.
    Irgendwann ist ein Auge einen Spalt aufgegangen, das andere nicht, ihre Tränen und ein dicker Schleim hatten es zugeklebt, während sie gehustet und gehustet hat, doch sie hat ihren Bruder auch mit einem Auge gesehen, hinter einem Schleier. Wir sind ja beide im Himmel, hat sie gedacht! Marius trägt ein Engelskostüm! Sie wollte lachen, denn das sah total doof aus. Aber in ihrer Brust hat alles so gebrannt, und gleichzeitig hat sie gefroren. Und dann hat sie den Durst gespürt. Diesen wahnsinnigen Durst, und sie hat ihre Hände um die Flasche gelegt, die Marius ihr hingehalten hat.
    Da draußen, hinter der Ritze, wo sie

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