Zeig mir den Tod
dem Tor rote Lichter, und sie stand inmitten der skurrilen Beleuchtung. Ohne nachzudenken, drückte sie auf den goldenen Klingelknopf.
»Ja, bitte?«, dröhnte es fast gleichzeitig aus Schlitzen einer Sprechanlage in der Säule.
»Hallo, hier … hier ist Nessy. Ich bin eine Freundin von Marius. Ich wollte … ich möchte … Kann ich mit seinen Eltern sprechen?«
Es knackte ein paar Mal, dann sagte die tiefe Männerstimme: »Ich hole Sie ab.«
Kurz darauf stand sie mit offenem Mund in einer Küche, wie sie sie auch in Torbens Elternhaus vermutete. Doch dort war Nessy noch nie gewesen. Du würdest dich nicht wohl fühlen, sagte Torben immer. Überfluss, dachte sie, passte einfach gar nicht zu Marius.
Der Mann, der sie am Tor abgeholt hatte, hatte sich als Jo Krenz vorgestellt. Kripo. War ja klar, dass die Bullen auch hier waren. Er lächelte sie an, und sein Schnauzbart hob sich leicht. Sie schauderte.
»Sie wollten mit den Eltern Ihres Mitschülers sprechen?«, fragte Krenz. »Nehmen Sie doch Platz.« Er wies auf einen weißen, glänzenden Stuhl, der vermutlich so viel gekostet hatte wie die komplette Kücheneinrichtung in ihrem eigenen Zuhause.
»Ich … ich wollte nur kurz …« Sie sah sich rasch um, ignorierte die riesige Kochinsel in der Mitte und überflog die weinroten Fronten, die im Licht einer riesigen Deckenlampe glänzten. Hochschrank mit kleinem TV -Gerät, Hochschrank mit Mikrowelle und Ofen aus Edelstahl, Regale mit eingelassenen Strahlern, Spüle, Unterschrank, Kühlschrank mit Eiswürfelbereiter. Shit! Sie schob die Hände in die Taschen ihrer Kunstlederjacke und stellte sich neben den Kühlschrank, doch sie traute sich nicht, die zerfledderte Kaugummipackung hervorzuziehen.
»Vanessa!« Marius’ und Rebeccas Mutter kam in die Küche, und noch bevor Nessy ihr die Hand entgegenstrecken konnte, fiel Lene Assmann ihr um den Hals.
Augenblicklich versteifte sie sich. Die Frau roch säuerlich, als habe sie seit Tagen nichts gegessen und die Zähne nicht geputzt. Rasch trat Nessy ein Stück zurück. »Sie kennen mich?«
»Kommissar Krenz hat mir Ihren Namen gesagt. Ich bin so froh, dass Sie kommen! Ich wusste, dass Marius Freunde hat! Dass sich jemand für ihn interessiert. Er ist ein guter Junge!« Sie trat zurück, und die beiden musterten einander.
Die Mutter sah furchtbar aus, blass und mit eingefallenen Wangen, die Haare wie mit Öl eingefettet. Wenn sie vor der Schule aufkreuzte mit ihrem Porsche, strahlte sie immer und war perfekt gestylt mit Hochsteckfrisur und manchmal Flechtwerk darin, und Nessy glaubte jedes Mal, ein mehrere hundert Euro teures Parfum schon dann zu riechen, wenn sie Frau Assmann nur aus der Ferne sah.
»Sie sehen hübsch aus!«, sagte Frau Assmann.
Unwillkürlich fasste Nessy in ihr halblanges Haar, das sie offen trug. Wegen Torben hatte es diesen billigen Blondton. Fast schämte sie sich. Lene Assmann trug eine schwarze Hose und eine helle, etwas zu weite Bluse mit Flecken unter den Armen. »Ich … ich wollte nur wissen … Gibt es etwas Neues von Ihren Kindern?«
Krenz lehnte mit verschränkten Armen an der Kochinsel und beobachtete sie.
»Trinken Sie doch einen Kaffee mit mir!« Lene Assmann öffnete einen Hängeschrank.
»Ach, lassen Sie nur, es ist viel zu spät, ich … Können Sie nicht einfach sagen, ob Sie etwas wissen? Bitte!«
»Sorgen Sie sich?« Krenz senkt den Kopf um wenige Millimeter.
Nessy sah weg. »Haben Sie das … das Lösegeld schon beisammen?«
Abrupt hielt Lene Assmann in der Bewegung inne, in jeder Hand eine Kaffeetasse. »Es gibt kein Lösegeld!«
»Was? Sie wollen Ihre Kinder nicht zurückhaben?« Nessy spürte Angst und Abscheu.
»Frau Sigismund«, fiel Krenz ein und gab Frau Assmann ein Zeichen, zu schweigen. »Natürlich will die Familie ihre Kinder wiederhaben. Aber über die Forderungen, die zu erfüllen sind, gibt es nichts öffentlich zu sagen.«
»Ermittlungstaktische Gründe, was? Das sagen sie in den Fernsehkrimis auch immer.« Nessy wurde wütend.
»Da haben die Krimis mal recht.«
Nessy starrte ihn an. Seine tiefen Falten, die um die Augen etwas Freundliches hatten. Seine Lederjacke. »Ist die echt?« Sie zeigte auf seinen Arm.
»Die Jacke? Klar.«
»Marius mag kein Leder.« Und sie würde sich so ein Teil ohnehin nie leisten können.
»Kennen Sie Marius gut?«
»Geht so.« Sie blickte zum Kühlschrank, aus dem Lene Assmann Milch herausnahm. In der Tür lagen ein paar Eier, in den Fächern standen Gläser und
Weitere Kostenlose Bücher