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Zeig mir den Tod

Zeig mir den Tod

Titel: Zeig mir den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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vor vielen Ewigkeiten den glitzernden Gürtel entdeckt hat, gibt es bestimmt Wasser. Sie könnte hinauslaufen und einen Fluss oder See oder das Meer leer trinken. Aber nicht ganz, denn die Fische müssen ja auch leben.
    Marius hat ihr eine zweite Flasche gegeben. »Die hat alle der Gendarm gebracht«, hat er erklärt und schon wieder geweint. »Er bringt deine Medikamente. Bald. Ich habe es ihm gesagt.«
    »Hast du den Gendarmen gesehen?«, hat sie gefragt und wieder gehustet. Das tut arg weh, im Hals und in der Brust. Aber sie musste fragen, denn sie war doch kurz im Himmel, als da draußen an der Tür jemand das Schloss aufgesperrt hat. Sie hat den Gendarmen verpasst! Sie hätte ihm gesagt, dass sie nach Hause will! Und dass er sie rauslassen soll!
    Marius hat genickt und sich am Gasbrenner zu schaffen gemacht. Sie hat noch weitergetrunken, und alles hat geflimmert, die Wände haben sich immer mehr auf sie zubewegt, als wollten sie Becci zerquetschen wie ein lästiges Insekt. Danach hat sich alles gedreht.
    Sie weiß nicht, wann das gewesen ist. Aber durch die Ritze ist noch Licht gekommen. Wieder und wieder hat sie husten müssen, und dann ist es warm geworden zwischen ihren Beinen. Warm und nass, und die Wärme ist ihre Schenkel hinuntergekrochen bis fast zu den Knien. Hinterher hat sie sich besser gefühlt, weil es nicht mehr so gespannt hat in ihrem Bauch. Auch die Krämpfe waren weg. Aber jetzt stinkt es, und Marius will, dass sie die Strumpfhose und die Unterhose auszieht. Aber sie will nicht, sie schreit und schlägt um sich, da ist sie sicher, obwohl Marius sie fragt, warum ihre Gliedmaßen so wackeln. Dabei hat sie alle Kraft zusammengenommen, um sich zu wehren. So lange, bis ihre Arme und Beine sich anfühlen wie die Beinchen von den sterbenden Mäusen. Ganz schlaff, und sie zucken.
    Marius zieht sie aus. Aber nur unten herum. Dann wickelt er ihre Beine und den Po in eine Decke. Die Decke ist neu. Sie stinkt nicht.
    Dafür haben sich lebende Mäuse in Becci eingenistet und fressen sie von innen auf. Das ist nicht nett, denn sie liebt die Mäuse doch. Aber sie kann sich nicht wehren, kann sie nicht forthusten, und sie kann auch nichts sehen. Das liegt vielleicht daran, dass sie die Luft nicht mehr richtig in ihre Lungen bekommt. Davon wird einem schlecht, und es wird finster, sie kennt das schon von damals, als Mama sie ins Krankenhaus gebracht hat. Später ist Papa gekommen, aber er ist gleich wieder weggegangen. Er hat geheult, so wie Marius im Versteck heult. Aber das ist schon ewig her.
    Sie will, dass das Brennen und Drehen aufhört. Wenn sie sich ganz arg konzentriert, kann sie hören, dass ihr Atmen rasselt und ein bisschen fiepst und der Husten wie der alte Rasenmäher von dem Hausmeister in der Schule klingt.
    Draußen plätschert es. Ist das das große Wasser? Oder ist es neben ihr? Es kann auch Marius sein, er muss doch auch pinkeln, und er hat einen alten Eimer gefunden, sagt er, den benutzt er als Klo. Oder er heult so viel, dass er einen Eimer braucht. Sie heult nicht. Sie weiß, was passieren wird, und das ist gar nicht so schlimm.
    Dann schreit ein Vogel, es ist eine Möwe, jetzt ist sie sicher. Sie verhöhnt sie! Marius redet immer noch mit ihr, aber sie kann seine Wörter nicht zu einem Satz zusammensetzen, ihr Kopf will nicht. Frau Heinemann würde böse werden, wenn sie wieder in der Schule wäre und nicht mehr denken könnte. Nicht eine einzige Rechenaufgabe könnte sie lösen. Ihre Mathelehrerin würde mit dem dicken Rotstift alles durchstreichen, alle Zahlen, die Becci immer so säuberlich schreibt, obwohl sie Mathe nicht versteht. Aber sie wird ja nicht mehr in die Schule gehen. Sie wird hier bleiben und sterben.
    »Zuckermaus«, hört sie, und wieder »Zuckermaus«. Sie wartet auf den Riesen, den es nicht gibt. Das Stampfen hat sie schon lange nicht mehr gehört. Vielleicht hat er Angst in der Nacht.
    Sie denkt an den Himmel. Das Licht, die schönen weichen Wolken und all die Tiere, die dort sind. Aber wie soll sie dorthin kommen?
    Es kann nicht mehr lange dauern, das weiß sie. Sie ist jetzt zu lange hier gefangen. Und Mama hat ihr zu oft erzählt, was passieren kann, wenn sie nicht achtgibt. Dass sie dann stirbt. Du kriegst Krämpfe, mein Schatz, hat Mama gesagt, dein Bauch tut weh, und du musst erbrechen. In deinem Kopf geht alles durcheinander, und das Atmen wird schwer. Das willst du doch nicht! Also musst du aufpassen! Damals hat Becci Angst bekommen. Dann hat Mama

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