Zeig mir den Tod
auf ihrem Rücken spürte und den vertrauten Geruch seines herben Aftershaves einatmete, verflogen ihr Unmut und ihre Zweifel.
»Schon in Ordnung«, sagte sie und musste plötzlich lachen, denn Kora sagte immer, dass genau dies der Satz sei, bei dem Frauen die nächsten Wochen nichts taten, außer einen heimlichen Racheplan auszutüfteln.
»Der Vater macht mich fertig.« Moritz ging ins Wohnzimmer, nickte. »Wir brauchen ein Haus.«
»Habt ihr die Kinder?«
»Nein. Ich fürchte … morgen Abend …« Er blickte sie an. Sogar seine Lachfältchen um die Augen sahen müde aus.
»Moritz, hast du wirklich geglaubt, dass ich an einen romantischen Theaterabend geglaubt habe? Ich bin eine Medientante. Ich lese Zeitung. Ich höre Radio. Heute hatte ich im Auto acht Stunden Zeit dazu. Ich weiß, dass die beiden entführt worden sind. Ich weiß auch, dass Günther Assmann die Hauptrolle spielt.«
»Das werden wir ja noch sehen.«
»Sag mal« – sie beobachtete, wie Bugatti auf die Umzugskisten sprang und in die Pappe biss –, »wie kann man denn auftreten, wenn die eigenen Kinder in Lebensgefahr sind? Das sind sie doch? Das Mädchen braucht doch Medikamente!«
»Mhm. Frag mich nicht. Mit dem Mann stimmt etwas nicht.« Er sank auf einen Barhocker an der Theke und trank Rotwein aus der Flasche.
»Und welche Theorien habt ihr?«
»Betriebsgeheimnis, Frau Journalistin.« Er nahm ihre Hand und zog sie zu sich heran.
Hanna fuhr ihm durch die sandfarbenen Haare, zeichnete den Wirbel nach, dann nahm sie sein Gesicht zwischen ihre Hände und küsste den Rotwein von seinen Lippen.
»Du, ich habe dir eine pinkfarbene …«, flüsterte er, doch ein würgendes Geräusch ließ Moritz verstummen.
Bentley stand im Flur, bäumte sich auf und würgte mit erstickten Lauten Schaum aus dem Maul.
Mit einem Satz war Moritz draußen und kniete neben dem Tier. »Bentley? Mein Racker?«
»Wo ist die Transportbox?« Die Nacht war wohl endgültig gelaufen. »Wir müssen in eine Tierklinik.«
»Keller.«
»Bring ihn mit runter.« Sie schnappte im Bad ein Handtuch, den Schlüssel ihres MX 5 , rannte die Treppe hinunter, fand die Box in Moritz’ Kellerabteil, legte das Tuch hinein und traf Ehrlinspiel genau an der Haustür. In seinen Armen lag Bentley.
Sie hatte Moritz bisher erst ein Mal weinen sehen.
Später
Die Sonne schickt erste Strahlen über die Baumwipfel am Horizont, so gleißend, dass es fast in den Augen schmerzt.
Ich lehne noch immer an dem Birkenstamm und warte. Jetzt dauert es nicht mehr lange. Bald ist es vollends hell. Dann finde ich den Weg hinauf, dorthin, wohin die Vögel mich nicht tragen.
Das Grün in der Baumkrone ist hell und zart, fast goldgelb wie damals, in den Tagen, als wir uns zum ersten Mal hier getroffen haben. Zum ersten gemeinsamen Joint. Zum ersten Fick. Zum ersten Betrug. Auch nachdem Annika fort war, herrschten diese lebendigen Farben der Natur und die Pracht der süßlich duftenden Kirschblüten. Die Luft hat sich angefühlt wie Seide und schien uns alle und das Böse zu verspotten.
Es knackt und raschelt, als streiche die Sonne mit ihren frühen Strahlen über das Gras und Geäst. Der Fluss glitzert, ein Schlepper zieht stampfend vorüber, und ich registriere wieder den Geruch nach Maschinenöl.
Das Licht naht, die Angst verschwindet.
Ich freue mich auf die Erlösung.
Das Kind hat keine Erlösung gefunden. Oder was heißt Kind. Teenager. Aber trotzdem Kind. Ich habe es gewusst. Schon am Abend der Premiere, als der geschundene Körper bereits am Wegrand gelegen hat, direkt am Waldsaum, nicht weit von hier. Liegengelassen wie einen Sack Müll. Es hatte so enden müssen.
Als ich es erfahren habe, hat mich nur eines interessiert: Ob das Schicksal des jungen Menschen etwas zwischen uns ändern würde. Zwischen dem einzigen Menschen, den ich abgöttisch begehre, und mir.
Natürlich hat sich alles geändert. Aber nicht so, wie ich es erhofft hatte. Ich war nur noch ein Nichts. Unbeachtet. Verspottet.
Ich bin blind gewesen. Krank vor Liebe. Oder vielleicht sollte ich sagen: Ich habe zu viel gesehen, aber ausgeblendet, was nicht sein durfte. Dass meine Liebe lächerlich ist. Dass ich Menschen ins Unglück stürze. Dass ich keine Freunde habe – bis auf einen. Und den habe ich zerstört. Das Wertvollste, was mir diese Welt zu bieten hatte. So viele Opfer, nur, um mein unerreichbares Ziel nicht zu verlieren.
Am Waldrand bewegt sich etwas. Ein Reh kommt auf die Wiese. Ein zweites hinterher. Sie
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