Zeilen und Tage
Jahr 2003 wurden 440000 Zahnimplantate eingesetzt, von da an stieg die Zahl jährlich an, 2009 sollen es 1,1 Millionen gewesen sein.
Man kann sich sehr gut einen Streit unter Archäologen vorstellen, die in 2000 Jahren über seltsame Skelettfunde von Angehörigen der EU-Stufe rätseln. Die einen werden die Hypothese verteidigen, es handle sich um die Reste von modernen Menschen, die sich zu Übermenschen entwickeln wollten. Die anderen werden sagen, es seien Hominiden aus dem Weltall, die von einem Stern der Gehbehinderten aus die Erde kolonisierten.
Beruf: Implantationssoziologe
Mit unangebrachter Nonchalance überspringt Ortega y Gasset die zweitausendjährige Geschichte der spirituellen Bemühungen um Objektivität, wenn er in einer beiläufigen Notiz gegen das klassische Sine-ira-et-studio-Ideal statuiert, das Objektive sei selbst »eine Schöpfung aus ira und studium« gewesen ( Werke VI , S. 262). Er vergißt hinzufügen, es war ein heiliger Zorn gegen den Zorn und ein asketischer Eifer gegen den Eifer. Für den hier allzu eleganten Spanier ist die Epoche der Bestrebungen zum »Scheintod im Denken« nur noch eine ferne Sage. Er sagt sich von ihr ohne Bedauern los, um das von ihm favorisierte post-kontemplative »revitalisierte Denken« anzupreisen, die iberische Variante des Heideggerschen Denkens im Sturm.
29. Juli, Karlsruhe
Babs erzählt beim Abschiedsfrühstück von den Grubenponys in Wales, die für eine Woche pro Jahr an die Erdoberfläche durften,um frisches Gras zu fressen, und wie verzweifelt sie sich dagegen wehrten, wieder in die Tiefe geschickt zu werden.
30. Juli, Karlsruhe
Nur ein auf Massenströmungstheorie spezialisierter Physiker könnte die Panik bei der Duisburger »Love«-Parade sachgerecht kommentieren, ausgehend von dem Befund, daß die 21 Toten des trostlosen Fests ausnahmslos an Brustkorbquetschungen gestorben sind. Bei der obligaten Suche nach den »Schuldigen« wäre der Blick auf die zu richten, die dafür sorgen sollten, daß aus Humanströmungen keine Wirbel entstehen, erst recht keine Stauungen. Nur zögernd wird man sich auf die Erkenntnis einlassen, wonach Menschenkollektive per se immer auch mobile Massen sind, die bei Karambolagen mit einer kinetischen Energie X ineinanderfahren können. Kritisch fällt ins Gewicht, daß die Teilnehmer an solchen Events zur Massenvergessenheit neigen. Sie gehen zu diesen Festen, weil sie sich während einiger Stunden für körperlose Rauschsubjekte halten möchten, leichter als Luft, von einer kollektiven Levitation davongetragen. In der Panik wird die physikalische Wahrheit über den Massenträgheitsfaktor menschlicher Präsenzen offengelegt.
Beruf: Gratis-Dienste-Berater (hilft Ihnen, alles zu bekommen, ohne je in die eigene Tasche zu greifen)
Entwurf für Modena:
Zur Metaphysik der Gelegenheit
1 Die Rückkehr der Fortuna
2 Die Verteilung der Gelegenheit: cogliere l’occasione
3 Das Prinzip Gratis: Fortunatus, der aus den Glücksangeboten der Fortuna die neue Wunderbörse wählt
4 Pech haben – verlieren: die private Seite des Nicht-Erfolgs
5 L’occasione fa il ladro – Rossini und die Volkswirtschaft. Die Situation als Ursache oder: die Kunst, die schwachen Ursachen zu den starken zu machen
6 Konsultation und Neosophistik
31. Juli, Karlsruhe
Das Duisburger Drama wird von den Medien nicht kampflos fallengelassen, obschon die erwünschten Mobilisierungseffekte dürftig ausfielen. Man hatte in Bild großspurig 100000 Teilnehmer zu einem Trauermarsch herbeischreiben wollen – tatsächlich erschienen nicht mehr als 700 Personen zu der öffentlichen Manifestation.
Wäre die Presse eine Partei, müßte sie ihre Wahlniederlage zugeben. Da sie eine Themenbörse ist, nimmt sie ihre Fehlspekulation zur Kenntnis und geht zum Tagesgeschäft über. Sie begnügt sich mit dem Vorrecht, die symbolische Agenda weiterhin zu diktieren: Der neugewählte Präsident mußte sich beim Trauergottesdienst sofort in die erste Reihe setzen, und die bei Ernstfällen immer einsatzpflichtige Kanzlerin kam wieder nicht umhin, der Katastrophe ihre Reverenz zu erweisen.
Bei solchen Feiern im kirchlichen Rahmen wird ein Grundzug der aktuellen Zeremonialkultur manifest: Wenn ein nicht-christliches Fest scheitert, kann es nur in christlichen Formen zu Ende geführt werden – Dionysos bleibt eine Metapher. In Todesfällen sind die Love-Parade-Götter nicht satisfaktionsfähig.
3. August, Wien
Ein britischer Philosophieprofessor stellte jüngst die Frage,
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